50 erste Dates

Hilfe! Unser Blog ist komplett leer und ich habe nicht die Absicht dahinter verstanden! Egal, ist vielleicht auch nicht so wichtig. Wir befinden uns grad im Systemwechsel. Am Wochenende waren wir schon im Co-Bewusstsein mit Kim (die von System 3 ist). Jade und Kim haben nämlich über unsere Namen gesprochen, und dass sie es total faszinierend findet, dass jeder auf einen Namen hört oder hören muss, obwohl es nicht der „gefühlte“ Name ist. Ich kann mich nicht an alles aus dem Gespräch erinnern, weil wir ja nur schwach im Co-Bewusstsein waren. Gleichzeitig weiß ich noch, wie Jade gefragt hat woran das liegt, dass wir nicht gerne mit unseren gefühlt richtigen Namen anstatt dem Ausweisnamen angesprochen werden. Kim meinte dazu, dass es unangenehm ist, aber noch unangenehmer, sich selbst vorzustellen, bzw. den Namen selber auszusprechen. Hier im Blog oder im Internet ist es okay, weil wir da nicht von Angesicht zu Angesicht stehen. Und Kim brachte dann das Beispiel: „Wenn wir uns vorstellen müssten (manchmal haben das Therapeuten oder Betreuer übrigens in Vergangenheit wissen wollen wer da ist), dann fühlt sich das an, als müssten wir nen OB vor jemandem rausziehen.“ Bei dem Bild musste ich innen (war ja nur im Co) total lachen, weil das so stimmig ist, dieser Vergleich. Und das ist ja so eine Diskrepanz, weil wir wollen ja eigentlich gesehen und wahrgenommen werden – jeder so, wie er ist, selbst wenn wir als Ganzes funktionieren, ist jeder noch irgendwie er selbst. Dennoch ist dieses sagenhaft beschämende Gefühl da, unsere Namen zu nennen oder mit Namen angesprochen zu werden. Wir sind wirklich sehr froh, dass Frau Blume nie fragt wer da ist und dass es ihr nicht wichtig ist und uns immer nur in der Mehrzahl anspricht oder eben wenn sie spürt, wer da ist, dann eben auch in der Einzahl – sie macht das wirklich sehr gut, sie hat unglaubliches Fingerspitzengefühl dafür.

Wir würden Jade gerne viel besser aufklären über uns. Bisher wusste sie nur, dass wir verschiedene Systeme im Alltag sind, und am Samstag kam eben dieses Thema mit den Namen auf, weil sie meinte, sie hätte in unserem Kommunikationsheft (das hatten wir ihr wohl mal gezeigt wegen der Schriften), verschiedene Namen gesehen. Und dann kamen wir eben auf die Idee, dass wir Namen raten spielen könnten. Erst hat sie ein paar Namen genannt und wir haben gesagt, ob es jemanden bei uns gibt, der so heißt oder nicht. Als wir gemerkt haben, dass das echt schwierig ist, haben wir einen anderen Vorschlag gemacht. Kim hat die Namen der drei Frontpersonen aus jedem Alltagssystem genannt und Jade durfte raten, in welchem System sie sind. Das hat wirklich sogar einigermaßen Spaß gemacht und weil wir das in ein Spiel integriert haben, war es kein bisschen schambehaftet. Minimal vielleicht.

Jedenfalls waren wir da eben sehr im Co-Bewusstsein. An mehr erinnere ich mich nicht. Gestern war dann eben Hanna auf dem Weg zu Jade.

Kurz: Wir haben uns krankgemeldet in der Arbeit, weil es uns wohl nicht gut ging. Dazu muss ich sagen, dass vormittags noch Kim im Außen war. Wir haben jetzt noch nicht alles durchgelesen, Hanna hat bloß unser Instagram Archiv etwas überflogen, aber wir wissen noch nicht genau was los war, dass Kim bzw. System 3 sich so ausgelaugt gefühlt hat. Wir waren also nicht wirklich krank, aber Kim meinte, es ginge ihnen sowieso schon nicht gut und sie sehe nicht ein, dann auch noch fünf Stunden bei der Arbeit zu sein, wo sie sich noch unwohler fühlt und was ihr oder uns (ich hab dazu grad noch wenig Bewusstsein), sehr depressiv und gereizt macht. Ich konnte die Entscheidung, bzw. Begründung nachvollziehen, war trotzdem etwas verunsichert. Ich weiß noch nicht, woher diese Verunsicherung kommt, es hängt bestimmt mit einem Grundgefühl im Bezug zur Arbeit zusammen. Dafür muss ich jetzt erst einmal bisschen ankommen.

Wir waren gestern Abend also mit Jade verabredet. Sie hatte uns zu einem Konzert von einer Pianistin eingeladen, die Werke von Hans Zimmer und Yann Tiersen gespielt hat. Vorher waren wir mit ihr Abendessen und kurz nach dem Essen habe ich Hanna abgelöst. Es war ein super schöner Abend, wir haben vor und nach dem Konzert sehr viel gelacht. Außerdem war ich unglaublich sprachlos… Ich meine, ich habe Jade im Co-Bewusstsein natürlich schon gesehen und an manchen Stellen auch gehört, trotzdem ist das Co-Bewusstsein meistens wie ein Traum und die Gesichter und Erinnerungen in solchen Zuständen nicht sehr real oder greifbar, eher schwach und verschwommen. Es war etwas ganz anderes, sie wirklich in Körperzeit zu sehen und bin einfach nur überwältigt gewesen, wie viel intensiver das alles ist. Alles in einem, meine ich: Sie nicht nur zu hören, oder nicht nur zu sehen, sondern sie zu hören und zu sehen und zu riechen und wirklich mit meinem eigenen Tastsinn greifen zu können. Sie sah so umwerfend aus in dem schwarzen Mantel und den hohen Schuhen, ihren offenen, braunen Haaren und den blau-gesprenkelten Augen. Ich dachte wirklich kurz: „Hey, da haben wir aber wirklich gute Arbeit geleistet.“ Ich glaube, ich habe das auf dem Heimweg auch ausgesprochen und sie musste laut darüber lachen. Ich sagte das etwas anders. Die Heimfahrt verlief nämlich in etwa so, dass ich kaum aufhören konnte sie anzustarren und mir bewusst zu werden, dass diese Frau wirklich neben uns sitzt und wirklich mit uns nach Hause fährt und sie wirklich unsere Hand hält (und ich ihre Haut wirklich fühlen und das nicht nur sehen kann!). Jill ist noch nicht wirklich wach (Jill ist eigentlich überzeugt hetero und hat damals auch die Beziehung zu Nikki aus hauptsächlich diesem Grund beendet). Ich bin gespannt wie das wird, wenn alle aus unserem System wach werden, das kann ja immer ein paar Tage dauern. Ich bin gespannt, wie Jill reagieren, was sie denken oder fühlen oder sagen wird – aber eins ist mir klar, für diese Frau werde ich die Krallen ausfahren und sicher keine Jill entscheiden lassen. Mal abgesehen davon kann ich  mir nicht einmal vorstellen, dass selbst stockhetero Frauen Jade nicht attraktiv oder sympathisch finden können. Es gibt an ihr im Grunde nichts, was Jill schlecht reden könnte. Und wenn sie etwas findet, dann nur, weil sie es will. Vielleicht auch, weil sie ihrer Grundüberzeugung standhalten will, dass man Familie nur mit einem Mann gründen kann. Was absoluter Humbug ist. Jade will auch irgendwann Kinder und eine Familie. Mit einer Frau an ihrer Seite. Bei einem Gespräch über unsere Vergangenheit waren wir auch sehr überrascht. Ich weiß nicht, was wir ihr erzählt hatten, weil ich nur den Satz hören kann, den sie sagt, bzw. die Frage, die sie stellt, nämlich: „Wären unsere Kinder denn sicher?“… Erst hat die Frage Druck ausgelöst. Das Bedürfnis, uns rechtfertigen zu wollen. Dann war da aber ganz viel Ruhe und Sicherheit in uns, weil wir ja jetzt schon wissen, dass Kinder, selbst wenn sie nicht unsere eigenen sind, bei uns sicher sein können. Wir antworteten darauf nur: „Ich müsste aufpassen nicht hinter Gittern zu landen, wenn unserem Kind jemand zu nahe treten wollte.“ Und wir meinten das Todernst. Wir wissen, dass wir einen starken Hand zu Selbstjustiz haben was Kinder angeht, weil die hier in unserer Gesellschaft am aller wenigsten geschützt werden. Wir wissen, unsere Kinder wären sicher. Mal abgesehen davon, dass das keine Frage für die nächsten drei Jahre ist. An mehr erinnre ich mich von dem Gespräch nicht, ich weiß nur, dass wir da eine Grundhaltung haben.

TW

Außerdem hatten wir ja 2018 eine ungewollte Schwangerschaft… wir hatten darüber nur nach dem Abgang im Blog sehr selten was erwähnt, weil das Thema… weil wir einfach nicht drüber schreiben oder reden können. Nach wie vor nicht wirklich. Aber schon damals war etwas da und das hört sich furchtbar an, aber wir hatten in der Zeit sehr große Schwierigkeiten uns für oder gegen das Baby zu entscheiden (wir haben es in der 8 SSW bemerkt… glaube ich? Ich bin mir zeitlich nicht sicher, aber das erste Ultraschallbild ist von der 9. SSW). Wir hatten also nicht mehr ganz so viel Zeit uns für oder dagegen zu entscheiden. Ganz abgesehen von der emotionalen Seite ist das nicht so einfach, wie man denkt… der FA wo wir waren, hat zum Beispiel sowas nicht gemacht. Und wir haben echt erst Tage gebraucht um zu verstehen, dass man kaum Frauenärzte finden kann, die das machen – weil die öffentlich nicht damit werben… Plus brauchten wir erst einen Schein (ich weiß nicht mehr, wie der hieß, ich glaube Abtreibungsschein oder so)… jedenfalls eine Bestätigung von einer Beratungsstelle… das geht alles nicht so einfach. Es war eine Horror Zeit und wir haben mit niemandem darüber geredet, wir haben uns schrecklich alleine gefühlt. Nur Sie & Co und Schmetterling wussten bescheid. Jade weiß es mittlerweile auch. Wir hatten ihr unser Ultraschallbild von dem Baby gezeigt… und weil sie es wusste, war unsere Antwort bei dem Thema „Können meine/unsere Kinder sicher sein“ zum Teil auch die: „Ich fühle mich furchtbar, das zu sagen, weil ich weiß, dass das kein Grund sein darf. Aber ich wusste, wenn ich das Kind bekommen würde, würde ich den Ausstieg schaffen. Ich wusste, wenn das Baby erst da ist, würde ich alles dafür aufgeben – mein Zuhause, meine Familie, meine Freunde – nur, damit das Baby in Sicherheit ist. Ich hätte alles dafür getan.“ Ich finde, das ist nach wie vor kein gutes Argument. Aber das Argument, diese eine Liebe für das Kind… das kann man nicht beschreiben. Das Baby war nur 11 Wochen in unserem Bauch und wir haben schon so eine tiefe und enge Bindung gespürt, so eine Liebe, so eine Kraft und Sicherheit… ja… wie dem auch sei…

TW ENDE

Bin abgeschweift, tut mir leid. Jedenfalls ist sich Jade scheinbar genauso sicher in einer langen Zukunft mit uns wie wir mit ihr, sonst hätte sie niemals so eine Frage gestellt. Ich bin jedenfalls sehr gespannt auf den Moment, wo Jill Jade kennenlernt. Ich werde auf jeden Fall harte Arbeit leisten, um ihr so viel von meinen Gefühlen aufzuzwängen wie ich nur kann 😀 Ich weiß, das ist nicht fair, aber ich will um etwas kämpfen, das uns guttut und für die Liebe, die wir durch sie empfinden.

Jade musste im Auto also immer wieder ein wenig lachen, als sie bemerkt hat, dass ich nicht aufhören konnte sie anzustarren. Ich habe zwar immer wieder den Blick von ihr gerissen, aber so wirklich funktioniert hat es nicht. Als ich mich beim Grinsen erwischt habe und sie lachen musste, musste ich auch lachen und meinte dann: „O-kay. Oh mein Gott. Du bist eine erwachsene Frau!“ Habe durchgeatmet… und musste dann erst recht lachen. Dann konnte ich nicht mehr. Ich kam mir so albern vor, hatte wirklich die Befürchtung, dass es einfach nur absurd wirken muss auf sie. Also sagte ich: „Ich weiß, das klingt… oh Gott… aber ich habe dich bisher nur im Co-Bewusstsein gesehen und… es ist so anders.“

Überraschenderweise reagierte sie nicht überrascht 😀 Sie lächelte einfach nur total sanft, nickte einmal kurz und meinte dann: „Jetzt macht das wirklich Sinn. Ich habe es schon beim Abendessen vermutet…“

„Was macht Sinn und was hast du vermutet?“

„Dass wir in einem anderen System sind. Wegen dem Bier. System drei mag kein Bier. Sinn macht für mich, dass du aussiehst als wärst du frisch verliebt und als hätten wir unser erstes Date. Weil es scheinbar so ist…“

Erstens muss ich loswerden, wie schön ich es finde, dass Jade uns nicht so „offenbarend“ behandelt hat. Wir haben nicht gemerkt, dass sie einen Wechsel gemerkt hat. Ich glaube kurz bei dem Bierthema beim Essen schon… weil sie da auf eine gewisse Art und Weise reagiert hat… aber darauf habe ich gerade keinen Zugriff, weil ich da nicht richtig im Co-Bewusstsein war. Aber ich glaube, sie hat gelacht und gesagt „ich liebe es…“ so in etwa. Ist aber nicht weiter darauf eingegangen (glaube ich). Jedenfalls hat sie es nicht zum Thema gemacht, dass sie den Wechsel bemerkt hat.

Sie fragte dann, ob wir in System 5 wären und ich war wirklich erstaunt und fragte, woher sie das wüsste. Sie meinte, sie sei sich nicht sicher gewesen, aber dass Kim ihr schon einiges erklärt hatte. Unter anderem, dass unser System wohl „wilder“ sei als die anderen. Und gerne Bier trinkt. 😀 Und dann meinte sie noch, sie hätte es an meinen Augen gesehen. Das fand ich sehr aufwühlend. Ich habe dann immer das Gefühl, dass uns jeder ansehen kann, dass wir viele sind und das macht uns nervös. Das wollen wir nicht. Aber Jade meinte, das würde ihr nicht auffallen, wenn sie es nicht wüsste. Es seien Nuancen, wie ich rede oder meine Blicke. Wenn man es nicht weiß, merkt man es einfach nicht. Sie fragte, ob es mir unangenehm sei, dass sie das sehen kann oder ob ich mich beobachtet fühle. Ich sagte „Nein. Kein bisschen.“ Und meinte das auch so.

„Und wie ist das für dich, dass ich so viel schon von dir weiß? Ist das ein unangenehmes Gefühl oder … Ich stelle mir das nämlich so vor, wie wenn du mir ein Meme zeigst, dass du total lustig findest, und ich einfach nur sage: Kenn ich schon.“

Ich dachte darüber nach und meinte: „Nein… tatsächlich überhaupt nicht. Es ist eher total beruhigend und entspannend, ich fühl mich sicher und erleichtert, weil der schwerste Teil irgendwie getan ist… weil ich finde es super anstrengend und schwer, Menschen in unser Vielesein einzuweihen. Jetzt ist es einfach getan. Du weiß es und ich muss nicht mehr viel erklären… ich kann einfach ich sein…“

„Damit hätte ich nicht gerechnet, aber ja, das ist absolut logisch… und schön.“

Ich habe sie wieder angestarrt und mir einfach nur gedacht: Wow, diese Frau geht wirklich an meiner Seite… und musste lachen… dann meinte ich: „Außerdem: Ich bin ziemlich stolz auf unseren Fang, und ich musste nicht einmal was dazu beitragen. Ich sitz jetzt einfach neben einer bildschönen Frau, die ich ohne Anstrengung in mein Bett einladen werde… Das kann auch nicht jeder von sich behaupten.“ Das war natürlich ein sehr plumper Witz, aber Jade musste so herzhaft darüber lachen. Dann meinte sie noch: „Oh, jetzt werde ich doch auch wieder ein bisschen nervös.“

„Toll, oder?“, meinte ich dann und ehrlich gesagt war ich etwas froh, dass ich jetzt nicht mehr die Einzige war, die nervös war.

„50 erste Dates? Das ist absolut großartig! Das ist einfach klasse!“

Und ja… es war als hätte ich sie das erste Mal gespürt. Im Co Bewusstsein, wie gesagt – es ist ein sehen oder hören. Aber es ist nie real. Es ist immer wie ein Traum, wie Spinnenweben, nach denen man greifen will. Ich wusste, wie sie aussieht, kannte ihre Stimme. Aber sie wirklich mit „echten“ Augen zu sehen und alles wahrzunehmen – so ganz in echt, im Außen… mh… das war einfach überwältigend und ich glaube, ich habe mich heillos verliebt. Nein, ich bin mir absolut sicher.

-Joan

Jetzt gibts nichts mehr, was sie nicht weiß…

Gestern Abend haben wir Jade vollends in unser Leben eingeweiht. Jetzt weiß sie auch unsere komplette Vergangenheit bis zum Ausstieg… Als wir ihr gestern davon erzählt haben,  hat uns das glaube ich ein bisschen getriggert. Zumindest fühlen wir uns heute nicht ganz so besonders.

Ihre Reaktion, wie sollte es sonst sein, war so, wie man sich das wünschen würde.

Auf das Thema sind wir gekommen, weil wir durch sie merken, dass wir noch Wechsel haben, von denen wir nichts wissen. Das ist im Bezug auf sie gar nicht schlimm. Besonders als sie uns erzählt hat, wie sie am Samstagabend mit einem Innenkind umgegangen ist, von dem wir absolut nichts mitbekommen haben (bis jetzt kommen wir nicht an die Erinnerung ran). Im ersten Moment waren wir sehr peinlich berührt. Also, die Art wie sie uns angesprochen hat war sehr, sehr feinfühlig und gut. Sie hat nämlich gefragt, ob ich mich erinnern könne, was vor Situation XY war. Also unmittelbar davor. Ich habe angefangen nachzudenken und irgendwann hat sie uns sanft angelächelt und meinte, sie glaubt nicht, dass ich mich erinnern werde, weil sie sich sehr, sehr sicher sei, dass am Samstagabend jemand sehr Junges da war. Ich habe wirklich meine Augen aufgerissen und mir ist die Kinnlade runtergeklappt. Ich hab zwar gelacht, aber nur weil es mir peinlich war – besonders wenn wir davon nichts mitbekommen haben. Ich fragte sie, woran sie das ausgemacht hätte… und was ich getan hätte. Ich habe versucht weiter nachzudenken, aber ich konnte einfach keine Situation greifen.

Sie hat mir erzählt, dass sie, nachdem ich ihr davon erzählt habe, wie und wann ich angefangen habe mich an Gewaltsituationen aus meiner frühesten Kindheit zu erinnern, einen Wechsel bemerkt hat. Nicht direkt nachdem ich ihr davon erzählt habe (ich weiß ja auch noch, wie das Gespräch ausging und wir es auch emotional gut ausklingen lassen haben), sondern etwas danach. Sie hat das wohl an der Art gemerkt, wie wir sie angefasst haben. Wir hätten ihr Gesicht so gestreichelt, wie Kinder streicheln. Ganz anders als wie wir sonst ihr Gesicht berühren. Dann meinte sie, hätten wir auch ihre Lippen angefasst und sie geküsst. Aber nicht wie sonst. Sondern so, wie Kinder Verwandte küssen, weil sie das halt so bei Mama und Papa gesehen haben und „man das halt so macht“. Sie hätte das unterbunden, indem sie dann unser Gesicht genommen und uns einen Kuss auf die Stirn gegeben hat. Danach haben wir uns wohl an sie gekuschelt und sind eingeschlafen. Aber nur für kurze Zeit, weil ich mich nicht erinnern kann, dass wir eingeschlafen sind, aber ich bin auf jeden Fall aus dem Schlaf aufgewacht. Ich habs nur nicht in Frage gestellt. Und es war wohl auch nicht lange. Sie meinte, wir haben dann auch kurz gezuckt (dieses Zucken kurz vorm Einschlafen) und davon bin ich halt wohl aufgewacht und da war ich wieder da.

Auf Insta habe ich ja dann in den Storys davon erzählt… und habe auch erwähnt, wie wunderschön ich ihren Umgang damit finde und das unser Vertrauen nochmal so arg verstärkt hat. Gleichzeitig auch, dass es anfängt Druck in uns auszulösen, wenn wir durch Jade feststellen, dass wir doch noch wirklich ganz klassische Amnesien haben, wenn einige von uns im Außen sind.

Gestern haben Jade und ich dann abends noch telefoniert und als wir über den Tag sprachen, fragte sie nochmal nach, wie es mir jetzt damit geht, nachdem ich noch eine Weile Zeit hatte das zu verdauen, dass sie mir von dem Innenkind erzählt hat. Ich war dann unschlüssig, was ich sagen sollte, entschied mich dann aber ehrlich zu sein, auch wenn es Fragen aufwerfen würde. Ich meinte so: „Na ja… also. Zu aller erste finde ich es wunderschön, wie du damit umgegangen bist. Dann war es mir peinlich… und danach hat es Druck in mir ausgelöst.“

Sie fragte, wieso es mir peinlich war und wieso es Druck ausgelöst hatte. Ich erklärte ihr, dass ich es sehr unangenehm finde nicht zu wissen, wie ich wirke, wenn Innenkinder im Außen sind, die ich nicht beobachten kann. Weil ich es mir sehr komisch und eben „kindisch“ vorstelle, wenn ein erwachsener Körper sich plötzlich so kindlich verhält. Und ich nicht so gesehen oder wahrgenommen werden will. Also. Kindlich kann ich ja auch als Erwachsener sein. Verspielt und kindlich. Aber ich finde es peinlich, wenn die Mimik und Gestik dann auch so ist – und noch schlimmer die Stimme. Jade hat das aber eher super schön gefunden. Sie meinte, dass es sie sehr, sehr glücklich gemacht  hat und sie immer froh darüber ist, wenn sie jemand Neues und umso mehr sie von mir kennenlernt. „Außerdem, als ich realisiert habe, dass da jemand sehr Kleines da ist, habe ich meine Augen geschlossen…“

„Deine Augen geschlossen?… Wieso?!“

„Hm… weil ich dachte, dass diejenige sich dann wohler fühlt. Ich wollte, dass die Situation so angenehm wie möglich für sie ist, und dann dachte ich, wenn ich die Augen geschlossen habe, wirke ich am wenigsten bedrohlich.“

Ich wusste nicht was ich dazu sagen soll. Sie ist einfach wirklich sehr besonders… Das hat so viel mit uns gemacht. Also, schon als sie uns gezeigt hat, wie sanft sie da unser Gesicht in die Hände genommen und uns einen Kuss auf die Stirn gegeben hat, hat uns wahnsinnig berührt… (so hat sie eben unterbunden, dass jemand der sehr klein ist, sie geküsst hat)… und ich finde das einfach wow. Das macht wirklich so viel mit uns. Aber das mit dem Augen schließen finde ich noch mehr besonders. Ich finde es so verrückt wie genau sie weiß, was das Richtige im richtigen Moment ist. I mean, den „richtigen Moment“ zu erwischen ist schon schwer, aber dann auch noch im richtigen Moment richtig zu handeln ist finde ich einfach… i literally have no words. Alles daran, wie sie mit uns umgeht, fühlt sich einfach gut an. Einfach alles.

Dann erklärte ich ihr das mit dem Druck… und der Punkt hat dann eben dazu geführt, dass wir ihr endlich alles erzählt haben.

Der Druck war nämlich, dass ich anfange wieder das Gefühl zu haben, mich vor Menschen rechtfertigen zu müssen, dass ich keine Gewalt mehr erlebe. Es ist irgendwie absurd. Erst hatten wir den Druck, viele Menschen davon zu überzeugen, dass es rituelle Gewalt usw. wirklich gibt und waren dann irgendwie sogar ein wenig froh drum, dass es Menschen in unserem Umfeld selbst mitbekommen haben (auch wenn wir jetzt im Nachhinein sehr … viel mitfühlen und es nicht fassen, dass wir nicht realisieren konnten zu der Zeit, wie schlimm das für z.B. Mona oder Ari gewesen sein muss, wenn sie davon mitbekommen haben… besonders Ari und der Direktor, die ja dann auch noch persönlich „belästigt“ wurden… diese Emotionen dazu fangen erst seit ca. einem Jahr an wirklich hochzukommen… also… das schlechte Gewissen und dass wir das Gefühl haben, uns dafür zu entschuldigen, weil sie wirklich viel mitgemacht und miterlebt haben…). Und seit einem Jahr ist es eher umgekehrt. Seit einem Jahr fühlen wir uns sehr unter Druck und in die Enge getrieben, weil uns immer und immer wieder vorgeworfen wird, wir könnten ja nie in unserem Leben garantieren, dass wir keine Gewalt mehr erleben. Und das stimmt aber einfach nicht! Das kann man nicht nur damit begründen, weil wir Amnesien haben. Ja. Haben wir scheinbar immer noch. Aber eben nicht stundenlang und nicht tagelang und das offensichtlichste Zeichen ist, dass wir weder Verletzungen am Körper noch Schmerzen am oder im Körper haben seit mehreren Monaten. Und dass wir so eingespannt sind seit letztem Jahr im Oktober, dass es kaum einen Tag gibt, wo es überhaupt die Möglichkeit gäbe, auf uns zuzugreifen.

Natürlich… uff.. ja… well… never mind. Ok. Aber … ja.. wir haben ihr dann eben von dem Ausstieg erzählt, wann wir das letzte Mal Gewalt erlebt haben etc. Verständlicherweise hat uns das beide aufgewühlt.. also sie hat mir heute auch schon geschrieben, dass sie noch das Gespräch von gestern verarbeiten muss. Ich habe sie gefragt, ob sie darüber reden möchte heute oder ob sie eher Zeit für sich braucht (weil sie ja Montags und Mittwochs immer hier ist). Ich hätte es vollkommen verstanden, wenn sie gesagt hätte, sie will lieber noch alleine das von gestern verarbeiten. Aber sie meinte, sie will lieber reden. Sie weiß noch nicht genau worüber und was, aber sie wäre da. Vor ein paar Tagen meinte sie auch mal, dass sie sehr gerne mit uns zusammen nachdenkt. Das finden wir super schön, weil das so viel Vertrauen zeigt. Weil ich finde, dass Nachdenken schon etwas sehr intimes ist. Weil vieles davon eben keine Resultate sind, sondern einfach nur Gedankengänge, die sich auch verändern können oder von denen man selbst irgendwann denken kann: Oh Gott nehhh, dahinter steh ich eigentlich gar nicht mehr. Und ich finde es so schön, wenn man keine Angst haben muss jemandem seine Gedanken mitzuteilen.

Jedenfalls meinte sie gestern noch bei dem Gespräch: „Und dann überlegst du ernsthaft nach *** zu ziehen? Auf gar keinen Fall.“ Also, weil wir ja sofort zu ihr in die Umgebung gezogen wären, wenn sich ihre WG auflöst. Und ja… den Punkt Sicherheit habe ich in dem Fall gar nicht beachtet. Für mich wäre es nur wegen dem Heimatsgefühl schlimm… Aber nachdem ihr das aufgefallen ist, ist mir das wieder eingefallen… ja, da waren ja noch mehr Gründe, dass ich hier wohnen bleiben wollte. Die ganzen Menschen die mittlerweile von unserer Geschichte bescheid wissen und vieles mit uns miterlebt haben und uns damit eben Sicherheit geben. Es ist schon so, Menschen, denen wir davon erzählen, es aber nicht selbst miterlebt haben… die „vergessen“ es irgendwie wieder. Weil ja, ist halt nicht Alltag für sie. Kann ich verstehen. Aber ja… hier haben seit zehn Jahren viele Menschen mit uns sehr viel mitgemacht, die wir nicht „überzeugen“ mussten, dass es echt ist oder nicht. Vielleicht haben wir auch deshalb irgendwann so eine „egal-Einstellung“ entwickelt, wenn uns Menschen nicht glauben. Im Endeffekt ist es passiert oder passiert es, ob man dran glaubt oder nicht. So wie die Sonne auch jeden Tag aufgeht, ob man es glauben will oder nicht. Und besonders 2020 haben es halt wirklich viele die uns helfen wollten, selbst irgendwie abbekommen… und ich glaube da war der Punkt wo es uns nicht mehr wichtig war… ich erinner mich an die Geschlossene wo wir zum Schutz untergekommen sind. Als Frau Honig den Ärzten da davon erzählt hat, haben sie die angeschaut als wäre sie selber nicht ganz dicht, die haben kein Wort geglaubt, man hat es ihnen wirklich angesehen. Ich glaub spätestens als der Oberarzt uns am Hinterausgang rauslassen musste als wir von Ari und dem Direktor abgeholt wurden, haben sie es geglaubt. Und das ist ja nicht schlimm. Ich kann verstehen. Vieles glaubt man erst, wenn man es selbst wirklich erlebt oder mitkriegt.

Wir hatten das Jade auch gestern gesagt, dass das früher halt so ein großes Thema war, diese „Glaubwürdigkeit“ und der Drang, uns rechtfertigen zu müssen und wie das halt einfach seit zwei Jahren gar kein Thema mehr ist… und wir hatten ihr eben auch beim Erzählen über den Ausstieg oder wie die Menschen aus diesen Kreisen auf uns zugegriffen haben, von gewissen Triggerreizen erzählt. Wie zum Beispiel als die Autos oft vor der WG mit Lichthupen gearbeitet haben und dann meinte sie, als ich fertig war mit erzählen… Dass an dem Tag, wo ich das erste Mal bei dieser *Müllerstraße* ausgestiegen bin und sie mich am Bahnhof abgeholt hat, da kann bzw konnte ich mich ja an die ganze Fahrt nicht erinnern und sie meint, wenn sie sich richtig erinnert, hätte es auch ein wenig gebraucht, bis ich bei ihr Zuhause wieder richtig „bei mir“ war. Und dann sagte sie mir, dass sie eben an dem Tag, weil ich  mich eben noch erinnern kann, wie ich über die Straße zu ihrem Auto laufe, aber eben ab da an nichts mehr… dass sie die Lichthupe betätigt hat, um auf sich aufmerksam zu machen… „So viel zum Thema Glaubwürdigkeit“, meinte sie dazu ruhig. Und ich war irgendwie total aufgewühlt von der Info. Ich fragte dann, wie ich auf sie im Auto gewirkt habe, weil ich ja wirklich… wirklich wirklich keine Ahnung habe WER das ist von uns, der sich immer abholen lässt oder darauf reagiert… und stelle mir das halt so vor, dass das eine Persönlichkeit ist, die ultra täterloyal ist, sich gern dunkel anzieht, zu allem Ja und Amen sagt und wie ferngesteuert wirkt. Aber Jade meinte, dass sie zwar schon gemerkt hat, dass ich „automatischer“ wirke als sonst, als wäre ich halt eben sehr funktional, aber sonst keine großartige Veränderung zu sehen war. and this point freaked me out at the inside. Weil ich NIE gedacht hätte, dass Persönlichkeiten die „abgerufen“ werden können, einfach „normal“ wirken.

ich glaube weil ich halt oft gehört habe, ich weiß aber nicht wo, dass wenn Täterloyale im außen sind oder welche, die eben einen bestimmten „Auftrag“ zu erfüllen haben wie programmiert und ferngesteuert wirken und nicht mehr erreichbar sind. Und ich fand es so krass dass endlich mal jemand uns in so einer Situation erlebt hat und sie uns sagen konnte, wie wir in dem Moment sind. Einfach normal. Und das ist auch wieder so ein Punkt weshalb ich so plakatives Zeug im Internet echt nicht leiden kann… weil wir dadurch halt auch jahrelang so ein falsches Bild hatten von jenen Persönlichkeiten… und wir nie auf die Idee gekommen wären, dass die halt auch „ganz normal“ sind… Also, wir verstehen zwar dass Menschen die DIS „verbildlichen“ wollen für Menschen, die das nicht kennen. Aber für mich-uns als Betroffene ist das einfach richtig kacke. Weil wir uns im Alltag LEGIT nicht so erleben. Das ist einfach Fakt. Klar gibt es solche Systeme. But for sure ist das nicht die Regel. Sonst wären viel mehr viel schneller diagnostiziert (mir fehlt hier der Clown-Smiley). Und ich finde es sollte halt so viel mehr Authentizität im Internet über die DIS bestehen. Uns ist zb klar dass man bei uns Wechsel KAUM erkennt und man eig bei unseren Insta Videos auch die einzelnen Personen nicht so auseinander halten kann, weil wir uns halt auch immer eher „funktional“ verhalten und verdeckt sind, wie im echten Leben halt auch, weil wir halt zeigen wollen, wie DIS im ECHTEN LEBEN aussieht und nicht im Internet oder im Innendrinnen. Im Innendrinnen geht es nur mich und alle anderen in mir etwas an und wir teilen es gerne mit anderen Betroffenen… Aber das Vielesein selbst ist eben einfach nicht so klar ersichtlich im real life und wir wissen, dass das bei sehr vielen Betroffenen genauso ist. Wir würden uns ja auch im echten Leben nicht im Supermarkt oder in der Straßenbahn oder bei einer Klassenarbeit  hinstellen und sagen: „Oh, kannst du mir kurz meinen schwarzen Kapuzenpulli und die blaue Cap geben, darin fühl ich mich wohler, weil ich grad gewechselt bin und ich bin übirgens gerade Toni und nicht Brigitte“… wisst ihr, was ich meine? Es ärgert mich persönlich (ich weiß nicht obs allen von uns so geht, aber MICH ärgert das wirklich sehr), dass das eben im Internet so oft so dargestellt wird, auch wenn es nicht böse gemeint ist und auch wenn wir den Gedanken dahinter verstehen, dass sich Innenpersonen einfach auch gern mal wirklich so zeigen wie sie sich im Innen fühlen oder erleben, aber es ist einfach nicht so, wie man es im Außen dann erkennt. Zumindest bei den meisten der diagnostizierten oder noch nicht diagnostizierten (eben WEIL nicht erkenntlich) DIS-Systemen. Kann mich jemand relaten oder habt ihr das Gefühl, ich bin grad irgendwie getriggert und zu unflexibel in meiner Weltsicht? Idk aber ich mags einfach nicht.

So, sorry, genug aufgeregt 😀

Aber ja, jedenfalls hat mir das SOOOOO viel mehr Weitsicht gegeben. Es kann also durchaus sein, dass Innens von weiter oben auch im Alltag öfter mal im Außen sind und wir das einfach nicht gechcekt haben – und sonst auch niemand, weil sie genauso sind wie wir Alltagspersonen auch. Was wiederum irgendwie sowas von Sinn macht, weil, also so die Theorie, osb wirklich so ist wissen wir ja nach wie vor nicht, aber in der Theorie (in der Fachwelt) können ja Innenpersonen auch höheren Ebenen mehr beobachten und kontrollieren als Innenpersonen aus unteren Ebenen. I mean, uns ist sowas von klar, dass obwohl wir Alltagspersonen sind, in der „Nahrungskette“ ganz weit unten stehen, auch wenn wir als Außensystem 98% unseres Alltags leben, sind wir eig so das Schlusslicht und die, die am wenigsten wissen. Aber wir glauben irgendwie nicht an diese Theorie von Fachmenschen, dass wir von oben kontrolliert werden. Wir können zwar nicht begründen wieso, aber wir sind uns sicher, dass es nicht so ist. Vielleicht weil das auch wieder was damit zu tun hat, dass man uns dann vorwerfen kann, wir hätten ja gar kein Selbstbestimmtes Leben und das ist absoluter Bullshit. Wenn ich so drüber nachdenke und in mich geh merk ich, dass es uns einfach hart triggert, dass man alles an unserer DIS abwälzen will, wenn es darum geht, dass wir „frei“ bestimmen können. Wenn es nicht die Täter sind, die uns „kontrollieren“, dann sind es halt Anteile von uns selbst … (Clown-Smiley fehlt hier schon wieder). Ich könnte davon irgendwie einfach nur im Strahl kotzen. Das ist dieses: „Wir trauen solchen Menschen nicht zu, dass sie es alleine schaffen.“ Uff.  Okay i’m done bcs ich bin grad nur noch getriggert, merk ich selbst gerade und da kommt dann nichts Konstruktives sondern nur noch Emotionales und Irrationales bei raus 😀 ich muss glaub uns erstmal wieder sammeln und dann nochmal drüber nachdenken, was ich/wir hier geschrieben haben. 😀

Jeder Mensch lebt das erste Mal

Heute war nach der Arbeit Anke da. Sie hat uns am Büro abgeholt und ist mit uns nach Hause gefahren. Dort haben wir uns hingesetzt und sind Unterlagen durchgegangen. Wir sind wirklich dankbar, weil sie so viel macht und sich bemüht und schnell ist wie ein Lauffeuer. Sie will mit uns ein Gespräch bei einem Anwalt ausmachen, weil ihre Freundin meinte, die irgendwas im Anwaltswesen arbeitet, dass unsere Gesetzliche eigentlich die Pflicht gehabt hätte die Überzahlungen des Jobcenters zu sehen und das ja schon ein zweites Mal passiert ist (einmal vor drei Jahren ca. mit 900 Euro und diesmal eben mit 1.300 Euro). Anke meinte, sie könne sich nicht vorstellen, dass wir das wirklich zurückzahlen müssten, weshalb sie eben mit ihrer Freundin Rücksprache gehalten hat. Gleichzeitig eben auch über die Gesetzliche, die wir haben, weil sie ja wirklich im Grunde sich gar nicht kümmert. Sie hatte ja auch behauptet einen Antrag auf Ratenzahlung für die Überzahlung Anfang Dezember oder Ende November gemacht zu haben. Als wir dann Mitte Dezember den Brief mit der Zwangsvollstreckungsdrohung bekommen und dort angerufen haben, meinten die ja, die hätten nie so einen Antrag erhalten.

Jedenfalls haben wir heute die Bewilligung auf Ratenzahlung im Postfach gehabt. Wir dürfen monatlich 23 Euro zurückzahlen und eigentlich wäre das für uns nun hiermit erledigt, weil wir wirklich nie ein Ding aus so kleineren Beträgen machen. Jetzt haben wir aber eben erfahren, dass, wie gesagt, es sein kann, dass sogar die Gesetzliche dafür aufkommen müsste – oder so ähnlich. Jedenfalls will Anke mit uns demnächst zu einem Anwalt zur Beratung für solche Sachen fahren – auch, damit wir die Gesetzliche ändern können.

Abgesehen davon haben wir noch einmal alle unsere Kosten aufgelistet und festgestellt, dass wir nicht 350 – 400 Euro zum Leben haben nach allen Abzügen, sondern bloß 230. Das ist total verrückt und ich kann es mir echt nicht erklären, vor allem weil da eigentlich echt nicht viel drinnen ist. Gut, wir haben Netflix, Audible, Spotify und ein Google Speicher mit 2 TB (alles zusammen in etwa 45 Euro im Monat)… Netflix haben wir jetzt erst einmal gekündigt, weil wir da wirklich selten schauen. Aber auf Audible und Spotify können wir einfach nicht verzichten. Besonders nicht auf den Speicherplatz, weil wir durch die DIS eben sehr, sehr viel per Video oder Foto „dokumentieren“ und festhalten. Und externe Fetsplatten/Speicherdatenträger verlieren wir IMMER. Aber diese vier, oder eben jetzt drei Dinge sind die EINZIGEN Luxussachen die wir besitzen und  monatlich abzahlen. Sonst nichts.

Die 13 Euro für Netfilx schlagen jetzt auch nicht viel raus, aber sie will uns diese Woche wieder zur Therapie fahren. Sie weiß noch nicht, ob sie das wegen der Spritkosten bei ihrem Arbeitgeber durchbekommt, aber sie will da nochmal überlegen, was sie da angeben könnte als Begründung.

Die Arbeit hat uns heute ja sehr belastet. Wir waren sehr, sehr arg dissoziiert vormittags und es hat auch lange gebraucht, bis wir bei Billy etwas mehr anwesend waren. Irgendwann während der Arbeit kamen wir dann wieder bei uns an, aber waren zu Tode erschöpft. Was ja kein Wunder ist.

Nach dem Besuch von Anke ging es uns dann aber tatsächlich wieder gut. Das Nachdenken, nach Lösungen suchen, das Gehirn beanspruchen hat uns wieder wirklich sehr gut in die Gegenwart gebracht und aus der Disso rausgeholt (zum Skillen bei so einer Art von Disso hilft meistens  zum Beispiel das Spiel Dobble bei uns – körperliche Reize helfen gar nichts – verstärken die Disso meistens sogar). Deshalb wundert es mich nicht, dass dieses geistige „Arbeiten“ bzw. Sortieren und Einordnen am Nachmittag auch gegen die Dissoziation geholfen hat. Eine Stunde später kam dann auch Jade und wir hatten ihr heute Vormittag schon geschrieben, dass wir schlecht gelaunt sind. Daraufhin hat sie uns auf Insta Reels von Hirschen, Rehen und Rentieren geschickt (unsere Lieblingstiere), das hat uns wirklich etwas aufgeheitert, wenn auch nicht aus der Disso geholt.

Mit Jade hatten wir schon mal darüber gesprochen, dass wir unzufrieden in unserem Job sind, aber noch nie ausführlich, wie sehr es uns wirklich belastet und was das mit uns macht – und wie die „Kaiserin“ (wie wir unsere Hauptchefin nennen) mit uns umgeht. Nachdem wir ihr davon erzählt haben, haben wir gesagt, dass wir wirklich Angst hatten ihr davon zu erzählen. Sie fragte, wieso wir das hatten und wir mussten wirklich ein bisschen drüber nachdenken.

Wir definieren uns ja viel über Leistung und ich denke, es fällt uns unglaublich schwer uns selbst und anderen einzugestehen oder zu zeigen, dass wir überlastet sind. Und besonders eben, weil sie unsere Partnerin ist. Dann kommt noch dazu, wie Nikki uns ja dann „behandelt“ im Sinne von „therapiert“ hat…. Und wir Angst hatten, dass Jade unsere Probleme zu ihren Problemen macht. Sie war so toll in dem was sie gesagt hat. Sie meinte, sie glaubt, dass Menschen wie wir bestimmt eine viel höhere Messlatte an Funktionalität haben, als „normale“ Menschen. Und sie fände die Aussage von Billy absolut wunderbar: Dass kein einziger Mensch gleich belastbar ist. Sie erzählte uns, dass ihre Mitbewohnerin Mel seit Jahren über sie herzieht, dass sie morgens so ein Miesepeter wäre. Als Mel dann angefangen hätte „richtig“ zu arbeiten, wäre Mel auch so ein Morgenmuffel gewesen und Jade hat dann verstanden: „Ah, das liegt nicht an mir. Sondern wir sind einfach belastet.“ Jeder geht mit diesen Belastungen anders um. Außerdem erzählte ich ihr von der ABW. Das hatten wir ja noch nie erwähnt weil wir uns dadurch direkt so fühlen, als wären wir unselbständig und bedürftig und das wirklich ein großes, großes Thema für uns ist. Ich finde Jades Betrachtung so interessant… weil sie alles, worüber wir uns schwer tun zu erzählen, aus Scham, es sei eine Schwäche, es im Gegenteil als Stärke sieht. Sie meinte zur ABW: „Wie cool ist das denn?! Sowas bräuchte ich eigentlich auch! Das bestätigt für mich einfach nur wieder, was ich von Anfang an bei dir gespürt habe: Dass du dich um dich selbst kümmerst. Und was gibt es mutigeres, als sich Hilfe zu holen? Gerade bei Papierkram sitzen Lorra und ich alle paar Monate am Tisch und es ist ein einziger Schmerz. Wir blicken es einfach nicht. Dabei sollte man von Lorra als Führungskräftecoach und mir als Sonderschullehrerin etwas anderes erwarten. Aber wir mogeln uns durch. Ich denke, jeder Mensch glaubt, dass andere alles irgendwie auf die Reihe bekommen, aber in Wirklichkeit probiert sich jeder Mensch einfach nur aus. Wir leben alle das erste Mal.“

Das fanden wir so, so, so schön und wir haben uns nicht eine Sekunde lang minderwertiger gefühlt als andere Menschen, was sonst immer der Fall war. Ich fühlte mich zwar immer noch unsicher, weil ich die Befürchtung hatte, sie sähe mich eben als „hilfebedürftig“… Jade sieht und spürt ja wirklich sofort alles. Sie sagt, ihre besten Lehrer in der Hinsicht sind ihre Schüler, weil sie sie selbst unglaublich schnell spiegeln. Jade stellt auch wirklich unglaublich gute Fragen. Das hat Cia am Samstag auch gesagt, als sie kurz auf dem Klo war. Sie meinte, sie sei total „verliebt“ in Jade, weil sie noch nie einen Menschen kennengelernt hat, der wirklich nach dem Befinden der Menschen fragt. Wenn Cia etwas erzählt hat, hat Jade nicht interessiert, was sie getan oder wie sie sich verhalten hat, sondern in jeder Frage steckte ein: „Wie hast du dich dabei gefühlt? Was hat das in dir ausgelöst?“. Etc. Cia meinte, sie geht nicht davon aus zu wissen, was Person XY fühlen könnte, sondern sie fragt wirklich nach. Cia meldete Jade das  zurück und darauf antwortete Jade mit einem Lächeln: „Ich finde das sehr schön. Weißt du, ich stelle diese Fragen auch sehr gerne meinen Schülern… sie sind wunderbar weil sie so viel von sich zeigen und noch so bei sich sein können. Als ich dann angefangen habe meine Freunde so zu fragen, wie ich meine Schüler manchmal frage, konnten sie mir meistens keine Antwort geben. Ich finde das sehr spannend, dass so viele Erwachsene nicht einmal mehr sagen können, wie sie sich fühlen. Und finde es umso schöner, wenn ich auf Menschen treffe, die sich so berührbar machen…“ Dabei hat sie uns angelächelt… wir haben die beiden gar nicht unterbrochen beim Reden, obwohl wir am liebsten in dem Moment gesagt hätten, dass wir nur dank Cia und Bonnie gelernt haben authentisch zu sein und unsere Gefühle und Emotionen zu zeigen. Und dass Jade sich ja selbst sehr nahbar für Menschen macht, was der einzige Grund ist, dass wir uns bei ihr vom ersten Tag an auch zeigen konnten, wie wir sind und offen reden und fühlen konnten. Ohne die geringste Angst vor Wertung oder Urteil.

Nachdem Jade dann eben gestern Abend gemerkt hat, dass irgendwas noch in uns arbeitet, haben wir ihr das gesagt: Dass ich verunsichert bin, weil ich Angst habe, dass sie mich oder uns nun als bedürftig empfindet…

Jade hat dann unsere Hände in ihre genommen und meinte: „Nein. Im Gegenteil. Ich weiß jetzt nicht, ob das furchtbar klingt, aber ich sag das jetzt einfach: Schon am Dienstag, zwei Tage nachdem wir uns getroffen haben und dann nachts telefoniert haben, hast du ja gesagt, dass du noch viel von dir erzählen musst und mir war klar, dass da noch etwas großes kommt. Aber ich habe schon bei unserem ersten Date gespürt und gehört, dass du dich um dich selbst kümmerst und das deine Aufgabe ist, die du dir selbst annimmst. Und ich bin ganz ehrlich, wenn ich gemerkt hätte, dass das nicht so ist, wären wir jetzt nicht zusammen und es hätte kein weiteres Treffen gegeben. Das habe ich dir ja schon gesagt, als du mir von der DIS erzählt hast: Das ist deine Aufgabe, nicht meine, und ich werde sie dir nicht nehmen. Ich dachte mir, wow. Wenn sie so viel schon geschafft hat in ihrem Leben, dann kann man mit dieser Frau alles durchstehen. Deshalb freue ich mich auch schon auf unsere vier Jahreszeiten. Weißt du, was ich damit meine?“

„Nicht ganz.“

„Es gibt in Beziehungen die Betrachtungsweise der vier Jahreszeiten, durch die man durchgeht. Nicht meteorologisch gesehen. Eher im übertragenen Sinne…“

„Ich verstehe.“

„Genau… und ich freue mich auf jede einzelne Jahreszeit mit dir, weil ich dich in jeder Situation kennenlernen will. Aber am meisten freue ich  mich auf den Winter, weil ich das Gefühl habe, dass wir das ziemlich gut hinkriegen werden.“

Ich schrieb ja gestern schon: Sie ist der Mensch, mit dem wir keine Angst vor der Angst haben. Und wir fühlen uns groß mit ihr. Sie macht uns groß, weil sie uns unsere Autonomie lässt. Beim Reden mit ihr gestern fiel mir auf, auch, als sie von ihren alltäglichen Problemen und Belastungen erzählt hat, die alle ihre Freundinnen und Mitbewohnerinnen auch haben, dass ich das absurd finde. Dass ich das Gefühl habe, dass gerade „Menschen mit Geschichte“, also… traumatisierten Menschen, die einmal schwach und ungeschützt waren, die Autonomie genommen werden will. Ja, das hat auch viel mit dem zu tun, was man ausstrahlt (Spiegelgesetz bzw. die Theorie der Resonanzen etc., wovon wir ja zu 101% überzeugt sind und das sich, seit wir uns mit 15 angefangen haben damit auseinanderzusetzen, immer bestätigt). Nichtsdestotrotz… tolles Übungsfeld finde ich 😀

Vor allem was die Funktionalität und Selbständigkeit angeht… Und uns wird immer mehr klar, nein! Nein, wir sind nicht arm, wie sind keine Opfer, sondern wir sind alle unglaublich stark. Wir müssen nicht funktionieren – das tut sowieso niemand. Keiner der Menschen da draußen, ob mit oder ohne Vorbelastung, weiß wie das Leben funktioniert. Das ist wirklich eines der Sätze, der sehr tief ging: Jeder von uns lebt das erste Mal! Und jeder muss sich selbst ausprobieren, wie er mit Belastungen umgeht. Keiner, kein Mensch, ob Vorbelastet oder nicht, ist immer gleich belastbar. Das heißt: Wir dürfen auch einfach mal nicht funktionieren und wir dürfen das auch zeigen. Jeder lebt seine Belastbarkeit anders aus. Der eine ist ein Morgenmuffel, der andere macht schlechtere Arbeit, der eine lässt sich krankschreiben, der andere kommt häufiger zu spät oder erleidet früher oder später einem Burn-Out oder Bored-Out. Der eine zickt die Kollegen an, der andere ist ein grundsätzlich schlechter gelaunt als sonst. Nichts davon ist falsch und alles davon eine Form der Belastbarkeit. Ich fand das toll. Das tat gut. Das tat wirklich so gut zu hören.

Am Samstag übrigens, als wir noch mit Cia und Bonnie eben weg waren (Essen und trinken), meinte Cia zu Jade: „Ich weiß nicht, ob dir das zu persönlich ist. Aber meistens ist es so, dass Menschen die so feinfühlig sind und … ich finde du bist echt besonders aufmerksam … haben ja selbst schon irgendwas Schlimmes in der Art erlebt…“ Jade musste darüber total liebevoll und warm lächeln und ich fand Cia so mutig, dass sie sie das gefragt hat, dieser Gedanke brannte mir nämlich auch schon lange auf der Seele, auch wenn ich im Gefühl hatte, dass das auf Jade nicht zutrifft.

Jade antwortete darauf: „Ich glaube, ich hatte einfach nur unfassbares Glück.“

Wir haben ja jetzt auch sehr viele Menschen aus Jades Familie kennengelernt. Am Samstagvormittag ihren leiblichen Vater, Großvater und Halbbruder (der dürfte so 12 oder 13 sein), weil er ein Fußballturnier in seiner Schule hatte und Jades Vater uns dann gefragt hat, ob wir vorbeischauen wollen. Und die Schule war nur 2 Minuten mit dem Auto entfernt. Jade kann übrigens so von Menschen erzählen, dass sie sie total lebendig macht. Ich hatte das Gefühl, jeden von ihnen schon zu kennen und über jeden einzelnen Menschen in ihrem Umfeld spricht so mit so viel Liebe, selbst, wenn sie jemanden „schwierig“ findet – man hört einfach die Liebe aus ihren Erzählungen heraus… und wir haben fast das Gefühl, ihre Familie schon ewig zu kennen. Die Familie väterlicherseits ist noch viel größer. Da sind viele Cousinen, Tanten und Halbgeschwister unterwegs und mit jedem von ihnen pflegt Jade einen Kontakt. Auch ihre Familie mütterlicherseits steht im Kontakt mit der Familie väterlicherseits und wir fanden es am Samstag diese Woche und am Samstag letzte Woche so wunderschön zu sehen, wie ihre Familie miteinander umgeht. Wir hatten übrigens bei Jades Mum das Gefühl, dass wir irgendwas bei ihr auslösen. Weiß nicht was, es war nur so ein Gefühl. Sie war sehr herzlich, hat uns auch umarmt und hat uns nie das Gefühl gegeben, nicht willkommen zu sein, aber irgendwas war da. Letzte Woche auf der Heimfahrt hat uns Jade wieder nach unseren ersten Eindrücken zu jeder einzelnen Person gefragt und ganz speziell fragte sie dann bei ihrer Mum, wo wir ja nicht erwähnt hatten, dass wir da irgendwas gemerkt haben. Wir meinten: „Hm ja, da war was, aber ich kann es nicht einordnen… ich glaube… wenn ich länger darüber nachdenke… ich glaube es hat sich angefühlt, als würde sie sich von mir eingeschüchtert und nicht so ganz frei in meiner Nähe fühlen…“… ich musste darüber nachdenken was ich gesagt habe weil ich halt einfach beim Hineinfühlen und auch nach innen Fragen (ich versuche oft in Austausch zu gehen bei sowas, weil es welche in uns gibt, die andere Menschen besser wahrnehmen als ich) – … aber das fühlte sich total stimmig an. Jade schaut mich in solchen Momenten immer total verliebt an, schüttelt leicht den Kopf und küsst uns… und sagt dann: „Ich liebe es, wie unglaublich genau du die Menschen wahrnimmst…“ Und uns macht das Mut. Super viel Mut, weil gerade das Thema Wahrnehmung ja total groß ist in unserem Leben und wir da sehr stark daran arbeiten, dieser zu vertrauen. Jade meinte dann, sie wüsste, was ich meine, und war wieder irgendwie begeistert von unserem Eindruck. Fast, als wäre sie auch erleichtert, dass sich unsere Wahrnehmung mit ihrer deckt. Sie meinte, sie hätte ihre Mum auch noch nie so erlebt wie heute, als wäre sie etwas „eingeschlossener“ als sonst. Sie fragte mich, ob ich wüsste, woran das liegen könnte. Ich meinte, nein, keine Ahnung, weil ich ihre Mum ja nicht gut genug kenne. Im Grunde eigentlich gar nicht.

Dann erinnerte ich mich daran, was Jade uns über ihre Ex (die wir ja gedatet hatten… uff ich finde das immer noch absolut absurd und krass… der Zufall ist so groß, dass es echt kein Zufall sein kann… genauso wie die Begegnung mit Finja am Freitag… einfach verrückt…) jedenfalls hatte sie uns erzählt, dass ihre Ex ihr und ihrer Familie immer das Gefühl gegeben hat, minderwertig zu sein. Grundsätzlich hat uns Jade auch erzählt, dass ihre Ex sie in der Beziehung immer kleingehalten hat. Und irgendwann wäre sie gar nicht mehr zu ihrer Familie mitgekommen. Das hat uns so schockiert, als sie uns das gesagt hat, weil wir, als wir von ihrer Familie weggefahren sind dachten: am liebsten würden wir nächste Woche schon wieder kommen. Ich habe mich glaube ich noch bei keinem unserer Ex-Partnerinnen, wo wir die Familie kennenlernen konnten, so schnell so wohl und angenommen gefühlt wie dort.

Jedenfalls meinte ich dann zu ihr, weil ich mich an ihre Ex erinnert habe und wie das auseinandergegangen ist, ob es nicht vielleicht daran liegen könnte, dass sie Angst hat, dass Jade wieder aus so einer Situation herausgehen wird. Jade meinte, sie glaubt nicht, dass es das sei. Ihre Mama liebt sie über alles. Man sieht und spürt es. Und sie ist eine starke Frau. So eine Mama, die alles für ihre Kinder hintenanstellt. Und dass sie zwar für Jade da war, als die plötzliche Trennung sie so erschüttert hat, aber das sie zu keinem Zeitpunkt verurteilt hat. Weder sie noch ihre Ex-Freundin. Sie war einfach da. Abgesehen davon fiel mir kein Grund ein, wieso wir den Eindruck hatten, dass sie sich befangen fühlt. Jade meinte, sie wüsste es auch nicht und die einzige Möglichkeit das herauszufinden wäre, mit ihr zu reden. Wir waren überrascht zu sehen und zu erfahren, dass Jades Familie so offen miteinander kommunizieren kann. So, dass Jade sogar sicher ist, dass ihre Mum offen mit ihr darüber sprechen würde, was los war. Wir hätten keine Sekunde überlegt, da nachzufragen, weil wir wüssten, unsere Eltern würden sowieso nicht in sich hineinschauen lassen. Das hat uns irgendwie berührt.

Wir haben nicht das Gefühl, ihre Mama hätte was gegen uns. Das sagten wir ihr auch. Wir haben uns nicht unwohl gefühlt. Sie fragte nämlich, was das bei uns auslöst… dass wir das so wahrgenommen haben. Und wir antworteten ihr eben, dass wir uns trotzdem zu keiner Sekunde unwohl gefühlt haben und wir trotzdem das Gefühl hatten, dass sie uns sofort angenommen hat.“ Jade meinte, ja, sie hätte an ihrer Mama sofort gesehen, dass sie uns sehr gerne mag – und gerade deshalb irritiere sie dieser Eindruck von ihr und mir, der sich ja irgendwie total gleicht. Ich bin, wie Jade auch, jedenfalls schon sehr gespannt, was sie dazu sagen wird… und ob Jade und ich da richtiglagen… und ich würde mich so sehr fragen, was das ist… was wir bei ihr auslösen. Bis jetzt war noch nicht der richtige Zeitpunkt, dass sie miteinander darüber reden konnten.

Letzte Woche meinte Jade aber noch, dass sie noch einmal drüber nachgedacht und sich erinnert hatte, dass als sie ihrer Mum das erste Mal von uns erzählt hat, sie sich irgendwie traurig dabei fühlte, aber nicht wusste, wieso. Erst als ich ihr dann von unserer Vorgeschichte und der Diagnose erzählt habe, meinte sie, sei ihr klar geworden, dass sie die ganze Zeit das Gefühl hatte, ein Teil von mir fehlt noch. Das hat ihre Mum vielleicht wahrgenommen bei dem Gespräch – dass Jade irgendwas traurig macht. Jetzt, wo wir uns immer mehr öffnen – das sagte sie gestern auch – hätte sie immer mehr das Gefühl, dass wir „vollständiger“ werden und das mache sie „hier“ im Gefühl auch „voller“ (sie legte dabei die Hand auf ihr Herz)… dass sie das Gefühl habe, immer mehr Puzzleteile von mir kennenzulernen und das mache sie unglaublich froh. Wir fanden das so schön, wie sie das gesagt hat.

Gestern nach diesem Gespräch über unsere Arbeit und als wir ihr auch gesagt hatten, dass wir die ABW haben, hat sie dann noch LEG’s schreiben müssen (Lern- und Entwicklungsgespräche), währenddessen haben wir diesen Eintrag hier begonnen.

Ich wünschte mir so sehr, dieser Alltag  mit Jade könnte „richtiger“ Alltag werden.

Ach ja: Lola, unsere Mitbewohnerin, haben wir jetzt auch kennengelernt. Sie ist super 🙂 Wir fühlen uns echt wohl mit ihr. Und es ist so schön zu sehen, wie sie sich auf ihr Baby freut. Ihr Zimmer ist schon ein wenig eingerichtet (da steht schon ein Wickeltisch)… und das Wohnzimmer werden wir auch ein bisschen Babygerecht einrichten. Da freuen wir uns auch schon so sehr drauf. Ich glaube das wird eine Erfahrung in unserem Leben, die einfach wow wird. Eine Baby-WG. Halllooooo wie toll ist das denn??

Und am Sonntag setzen wir uns mit Toni und Lola zusammen um mal zu klären, was jetzt wie läuft (auch finanziell, weil wie gesagt, vielleicht können wir uns durch Lola um die 100 Euro an Miete einsparen). Außerdem müssen wir Toni bescheid geben, dass wir Ende des Jahres oder Anfang nächsten Jahres, allerspätestens wenn wir den Führerschein haben, mit Jade zusammenziehen werden.

Wir haben Angst – Angst, diesen Ort, der seit zehn Jahren unsere Heimat ist und den wir so sehr lieben, allein schon wegen der Menschen die wir hier kennen und die Kontakte die wir hier aufgebaut haben… sie sind einfach wunderbar und wir lieben sie. Sie sind Heimat und Familie für uns – also  die Menschen und der Ort. Deshalb haben wir große Angst ihn zu verlassen und ich bin mir sicher, dass wir die erste Zeit großes Heimweh haben werden und bestimmt auch viel weinen und trauern werden. Aber … wir haben keine Angst vor der Angst. 🙂 Wir werden sie durchstehen. Und es wird gut. Wir wissen, dass es gut wird. Weil es hier nicht mehr für uns weitergehen würde, wenn wir keinen Schritt vorwärts wagen. Wir haben auch Angst vor dem Gespräch im Mai mit dem Geschäftsführer. Weil wir unser Unternehmen an sich ja sehr lieben und wirklich mit Herzblut dahinter stehen, wofür diese Einrichtung hier steht. Wir sind stolz darauf Teil davon zu sein und es wäre nichts schöner, als dass wir uns weiter dafür (und dann auch richtig mit vollem Potential) dafür einstehen könnten. Aber wir fürchten, und sind uns fast sicher, dass der Geschäftsführer uns entweder weiter hinhalten wollen oder Nein sagen wird. Und auch das wird wehtun. Weil wir schon das Gefühl haben, hier unsere Berufung finden zu können. Aber auch durch diese Angst trauen wir uns durchzugehen. Vielleicht wird das der erste Winter, durch den Jade und ich dann zusammendurchgehen und den sie miterleben wird. Echt, ein bitterkalter Winter. Aber auch das schaffen wir. Wir schaffen das schon irgendwie. Wir haben schon viel geschafft. Dann auch das.

Der Schleier um uns herum

Das Wochenende mit Jade war mal wieder super schön. Wir wollen wirklich mit keinem anderen Menschen als mit ihr unser Leben verbringen. Wir haben am Wochenende viel erlebt, besonders über die Begegnung mit Finja wollten wir schreiben, aber dazu fühlen wir uns gerade nicht in der Lage.

Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob es an der Arbeitssituation liegt. Aber sobald wir montags in die Arbeit müssen, geht es uns wirklich schon am Abend davor schlecht. Es ist wie als müssten wir uns durch irgendwas durchquälen, was kaum auszuhalten ist. Diese ganzen Stunden bei der Chefin sind der absolute Horror. Wir müssen uns jeden Tag so sehr in den Arsch treten, nicht blau zu machen. Und das funktioniert nur, weil wir nachmittags bei Billy sind. Das ist so eine kleine Aussicht, aber es gibt einige Tage, da macht uns das trotzdem fertig. Besonders mit der Aussicht, dass wir jede Woche mindestens einmal durchgehend zehn Stunden mit nur 20 Minuten Pause arbeiten, wenn wir zum Nebenjob müssen. Am liebsten würden wir den aufgeben, weil wir langsam echt total unsere Kräfte verlieren. Wir wollen doch einfach nur einen vernünftigen Job, wo wir nicht in drei Stellen in fünfundzwanzig Stunden aufgeteilt werden, keinen Festvertrag bekommen und dann auch noch (außer bei Billy) total ausgenutzt werden – Plus das Geld was wir dort bekommen nicht einmal reicht, damit wir uns am Ende des Monats noch versorgen können. Dieses Jahr hat uns echt nur der Nebenjob den Arsch gerettet. Wenn wir den nicht hätten, wären wir wirklich erledigt.

Seit Mittwoch haben wir nun eine Mitbewohnerin, die Lola. Am Sonntag wollen wir uns mal am Abend zusammen setzen und sie kennenlernen. Ja, erst am Sonntag. kein Witz, weil wir vorher keine Zeit finden. Da besprechen wir dann, in wie weit sich die finanzielle Situation verändert, es könnte sein, dass wir 100 Euro weniger zahlen müssen. Das wäre schon einmal eine riesige Entlastung. Aber trotzdem noch nicht genug, als dass wir den Nebenjob aufgeben könnten.

Im Mai wollen wir den Geschäftsführer nach einem Gespräch fragen. In dem wollen wir klare Antworten auf unsere Fragen: Werden wir im September für 30 Stunden im Veranstaltungsmanagement arbeiten dürfen und dürfen wir ab Juni statt 25 Stunden in drei Stellen zu arbeiten, komplett ins Veranstaltungsmanagement gehen. Das würde so vieles so viel einfacher machen. Wenn er uns dann immer noch keine klare Antwort geben kann, werden wir kündigen. Das steht für uns schon zu 100 % fest. Weil wir es wirklich nicht mehr lange ertragen, bis wir glaube ich wieder eine Art „Zusammenbruch“ bzw eben Ausfall haben, wo nichts mehr funktioniert. Es ist jetzt schon sehr hart am Limit und wir haben gerade einmal Anfang März. Das macht mir schon etwas Angst…

Der Gedanke an eine Kündigung fühlt sich im Moment unendlich erleichternd an. Wie durchatmen im ganzen Körper. Wenn wir im Mai kündigen würden, würde ja die 3 Monate Kündigungsfrist gelten. Anfang August wollte Jade in die neue Wohnung ziehen und wir würden beide am liebsten schon morgen unsere Taschen packen und das angehen. Jade ist in diesem Monat zu dem Menschen geworden, dem wir am meisten vertrauen. Wir können wirklich über alles mit ihr reden und mit allem wie wir sind und was wir fühlen und denken sein, wie wir sind. Ich fand das am Wochenende übrigens unglaublich schön. An einem Tag hat uns etwas total aufgelöst/aufgebracht… und wir kommunizierten das mit ihr. Sie sagte dazu: „Ich werde dir das jetzt nicht abnehmen. Durch diese Gefühle darfst du durchgehen, aber ich bin dabei.“ Dieser ganze Freitag war einfach total verrückt und schön. Wir haben uns ihr näher gefühlt als zuvor und es tat unglaublich gut. Es war wirklich, als hätte sie unseren Emotionen und unserem „Durchleben“ Raum gelassen, ohne uns dabei allein zu lassen. Und ich habe das Gefühl, dass wir das dadurch nicht verdrängt, sondern wirklich verarbeitet haben. Das war so schön…

Jedenfalls… wird uns klar, dass diese Arbeit hier eigentlich eher eine Illusion einer „hier kann ich wenigstens noch Arbeit finden-Theorie“ ist… sondern dass die uns eigentlich langsam aber sicher wieder destabilisiert. Billy hatte auch gesagt, dass nicht einmal psychisch „stabile“ Menschen problemlos drei Stellen schaffen und auch nicht gleich belastbar sind. Dieser Satz von ihr hat uns echt die Augen geöffnet. Auch, als der Geschäftsführer meinte, er hätte uns auch als sehr motivierte und fleißige Arbeiterin empfunden, aber nicht immer gleich belastbar. Darauf hat Billy geantwortet: „Das ist aber niemand.“ Ich musste so grinsen, weil das so ein Totschlagargument ist und wir das nie so gesehen haben, obwohl sie zu 100% Recht hat.

Wegen Billy fänden wir es schade, zu kündigen. Weil ich mir sicher bin, dass wenn wir uns zu 100% auf ihre Stelle fokussieren könnten und endlich mal einen Festvertrag hätten mit mehr Stunden, wo wir nicht mehr durch drei (+ Nebenjob durch vier) geteilt werden und uns besonders die „Hauptchefin“ mit den meisten Stunden für ihre Machtspielchen ausnutzt… dann bin ich mir sicher, könnten wir langfristig und auf Dauer stabil und gut arbeiten. Aber so ist es eine einzige Katastrophe. Wir haben ja nicht einnmal feste Arbeitszeiten durch diese blöden drei geteilten Stellen. Wir wissen meistens erst ein paar Tage vorher, wie wir in der nächsten Woche arbeiten… das ist wirklich katastrophal, das merken wir immer dann, wenn wir Termine ausmachen müssen – wie mit *Anke, unserer ABW, Therapien oder Arzttermine. Wir finden einfach keinen Tag, wo wir mal zur Vorsorge gehen können oder zum Zahnarzt, dabei müssen wir das dringend mal wieder machen. Das ist echt so schrecklich. Bei dem Gedanken daran fühlen wir uns wirklich wie bei einem Schleudertrauma. Es wächst uns wirklich über den Kopf.

Deshalb fühlt sich der Gedanke nach: Mit Jade zusammenziehen und einen neuen Job mit festen Arbeitszeiten und besserer Bezahlung finden an, als könnten wir vor Erleichterung losheulen.

Weil irgendwie haben wir im Gefühl, dass der Geschäftsführer uns keine klare Antwort geben wird. Uns uns wird ein „schauen wir mal bis zum Sommer“ nicht mehr reichen. Wir brauchen eine Perspektive. Entweder er sagt ja (weil mit Billy zu arbeiten wäre unser absoluter Wunsch), oder er sagt eben wieder weder Hü noch Hott, dann ziehen wir aber unsere Grenze. Es geht einfach nicht mehr. Und wie gesagt, zeitlich wäre das ja passend… es wäre ein neuer Schritt und das mit einem Menschen an unserer Seite, mit dem wir keine Angst mehr vor der Angst haben.

jedenfalls .. kaum sind wir seit heute Früh wieder auf dem Weg in die Arbeit gewesen, sind wir seit Stunden in einer Dissoziation, der wie eine Art „Schleier“ um uns herum liegt. Als wären wir völlig vom Körper und dem Alltag gespaltet, keine Emotionen, nur Druck im Hals und Nebel im Kopf. Und morgen müssen wir wieder von 8 bis 20 Uhr arbeiten,, also von 17 bis 19 oder 20 Uhr dann noch zu Connie, zum Nebenjob. Und wir wollen einfach nicht. Wir wollen nicht, wir können nicht, aber wir brauchen das verdammte Geld… meistens wird es erst am Mittwochabend oder Nachmittag besser… da legt sich die Dissoziation dann langsam… uns zwischendurch versuchen wir abends noch unseren Akku aufzuladen. Vorher war es dann immer einfach im Bett oder auf der Couch liegen und uns von irgendeiner Serie berieseln lassen, lesen oder schreiben – oder seit einem Monat ist es eben Jade. Und ich bin so froh, dass wir uns heute Abend wieder sehen. Eigentlich ist es fast schon, als würden wir zusammen wohnen, nur haben wir kein gemeinsames Zuhause. Wir haben uns seit wir uns kennen eigentlich nur drei Tage nicht gesehen. Sonst sehen wir uns immer nach der Arbeit, spätestens am Abend. Und wir wollen das ohne Planerei. Wir wollen wirklich einfach zum Anderen nach Hause kommen. Uns ist klar, dass das, wie wir grad die Beziehung führen, nicht immer funktionieren wird, dass wir uns so gut wie jeden Tag sehen. (Sie wohnt halt doch auch ne knappe Stunde mit dem Auto entfernt – allerdings nur 40 Minuten von ihrer Arbeit aus, deshalb funktioniert das unter der Woche ganz gut). Aber wir wollen es versuchen, dass das eher die Regel als die Ausnahme bleibt.

Jedenfalls versuche ich die Vormittage irgendwie zu arbeiten, was wirklich schwer fällt, weil diese Arbeit bei der Hauptchefin nicht unbedingt präventiv ist. (Es ist eine Idiotenaufgabe, die wir seit Januar machen und auch die Einzige). Wir müssen uns nicht konzentrieren, nicht herausfordern, nicht anstrengen – das sind alles Dinge, die uns erst Recht in der Disso lassen- weil das Gehirn halt abschaltet. Und das ist wirklich furchtbar. Wir müssen fast alle zehn Minuten Pause machen und irgendwas anderes tun… Einfach nur Katastrophe.