DIS Konfrontationen

Das Wochenende haben wir wieder bei Finja verbracht. Am Samstag, also gestern Abend, wurden wir zu einem Geburtstag von einem lesbischen Ehepaar eingeladen, das wir eigentlich gar nicht kannten. Es sind Freunde von Freunden von Finja. Es war ein super angenehmer und lustiger Abend mit einer Menge sympathischer Menschen dort. Ein bisschen haben wir uns wie in The L-Word gefühlt, weil es fast nur lesbische Paare, drei sogar verheiratete davon, dort waren. Die Frau, die ihren 40ten Geburtstag gefeiert hat, hat auch ein einjähriges Kind mit ihrer Ehefrau, der sooo unglaublich bezaubernd war.

Während dieser Nacht, kam Finja irgendwann plötzlich auf das Thema Drogen, und ob ich ein Problem damit hätte. Ich meinte, ich könnte und wollte nicht damit umgehen, wenn jemand regelmäßig etwas konsumiert, dealt oder ständig was Zuhause hat, aber dass ich durchaus auch schon auf einer Party Drogen genommen habe. Das Gespräch wurde ein wenig komisch, ich kann nicht sagen, woran ich das ausgemacht habe. Sie hat uns nicht anders behandelt, hat uns auch weiterhin geküsst und immer wieder unsere Nähe gesucht, war ganz entspannt.

Als wir dann aber bei ihr Zuhause ankamen, habe ich sie doch nochmal gefragt, ob alles okay wäre. Sie fragte, wieso ich das fragen würde und ich meinte, ich weiß nicht, es sei nur so ein Gefühl. Dann sagte sie mir, dass wir schon einmal ein ähnliches Gespräch miteinander hatten und ich ihr damals überzeugt gesagt habe, noch nie mit Drogen in Berührung gekommen zu sein. Und dann noch, dass sie es krass findet, was für ein Feingefühl ich hätte. Ich meinte zu ihr, das hätte nichts mit Empathie zu tun sondern vermutlich auch mit einer Traumafolgestörung, da ich als Kind oft erspüren musste, ob ich in „Gefahr“ bin und wie meine Mitmenschen drauf sind. Wenn man nicht mehr den Worten oder dem Verhalten der Menschen vertrauen kann, entwickelt man irgendwie eine andere Art des Lesens von Menschen. Keine Ahnung was es ist. Energie vermutlich. Ausstrahlung. Nennts wie ihr es wollt. Und ich weiß, dass das viele Betroffene von Traumafolgestörungen haben. Diese „Feinfühligkeit“ die leider nichts mit der klassischen Empathie zu tun hat.

Ich fühlte mich soooo schlecht weil ich natürlich wusste, okay, das kann einfach nur jemand von uns gewesen sein, der wirklich noch keine Berührung mit Drogen hatte. Aber ich wusste nicht, wie ich ihr das sagen sollte. Wie gesagt, wie haben ihr nie genau erklärt, dass DIS nicht nur Amnesien bedeutet, sondern dass es wirklich Persönlichkeitswechsel sind… Ich kann halt supergut verstehen, dass sie verärgert und irritiert ist/war, wenn ich zwei komplett unterschiedliche Aussagen raushaue… Ich habe ihr dann gesagt, dass ich wirklich nicht weiß, dass wir jemals so ein Gespräch miteinander hatten, aber dass ich ihr das glaube und auch, dass ich das gesagt habe. Und dass ich mir das nur durch die DIS erklären kann. Aber in dem Moment klang das einfach wie eine blöde Ausrede. Besonders, weil sie ja gar nicht versteht, was eine DIS wirklich ist (weil ich/wir sie darüber noch nie so genau aufgeklärt haben). Sie meinte dann schon, dass es für sie jetzt etwas besser ist, wenn sie weiß, dass es daran liegt… aber irgendwie habe ich mich nicht wohl damit gefühlt… ich habe ihr jetzt vorhin noch ein Video von DIS-Ding geschickt… das wir sehr gut finden.

Für sie schien das dann wirklich in Ordnung zu sein, aber mich hat das noch total beschäftigt, weil ich mir einfach nicht erklären konnte, wieso ich nichts von diesem Gespräch weiß. Ich meine, klar, ich weiß, dass ich nicht immer mit allen im Co-Bewusstsein bin und immer mal wieder noch auch Amnesien im Alltag bzw eben unter den Außenpersonen besteht, aber es beschäftigt mich trotzdem, weil ich davon überzeugt war, dass ich im Kontakt mit Finja bis jetzt immer irgendwie mit dabei war. Oder dass ich zumindest so schwache Randinformationen habe. Aber egal wie sehr ich in mich gegangen bin und mich angestrengt habe, ich kann mich einfach nicht an einen einzigen Fetzen von so einem Gespräch erinnern. Manchmal ist es ja so, dass ich dann eine Szene in den Kopf geschossen kriege, also, dass mir vermutlich von innen jemand Bilder zu der Situation schictk, in der dieses Gespräch stattgefunden hat und ich dann leichter die Sachen zusammenfügen kann, aber ich wüsste nicht einmal wo oder wann dieses Gespräch mit Drogen mal Thema war. Ich habe einfach keine Ahnung. Sowas finde ich einfach echt belastend… weil eben sowas im Alltag in sozialen Kontakten so große Probleme machen kann. Ich laufe ja schließlich nicht mit der DIS hausieren und sage: „Hey, ich bin viele. Wenn ich heute sage, dass ich Drogen nehme und morgen behaupte, ich hätte damit noch nie Berührungen gehabt, dann bedeutet das, dass ihr gestern mit Hildegard und heute mit Peter Pan gesprochen habt.“ Also, überspitzt formuliert. Und ich glaube besonders schwer macht es das, dass man uns halt Wechsel im Alltag so gut wie gar nicht ansieht. Dann kann man das eben noch schwerer verstehen oder unterscheiden und ich kann niemandem einen Vorwurf machen wenn er dann denkt, wir sind richtig dreiste Lügner. Oder vielleicht auch, dass man einfach nur irritiert ist und uns nicht mehr vertrauen kann.

Was mich eher jetzt noch nachdenklich gemacht hat: Eigentlich hat mich diese Situation eher verunsichert, dass sie sich dadurch, dass sie sich auf unsere Aussagen nie wirklich verlassen kann, eher distanziert emotional. Was ich halt total verstehen könnte, wir könnten und wollten auch niemals mit einer Person zusammensein, auf die wir uns nicht verlassen können. Gut, dass Finja und ich noch nicht zusammen sind und ich dachte mir noch, Gott sei Dank lassen wir das so langsam angehen. Das könnte ein guter Grund sein, dass es mit ihr eben auch keine langfristige Zukunft haben wird. Wovon wir ja ohnehin ausgehen, schon seit wir sie vor zwei Monaten das erste Mal gesehen haben. Und gestern, wenn uns die Leute gefragt haben, wer wir sind, wie Finja uns kennengelernt hat etc oder was das zwischen uns ist, habe ich auch ganz einfach von der Hand gesagt: „Wir lernen uns gerade kennen.“ Nicht mehr, nicht weniger.

Aber ich hatte heute früh, als sie uns zum Bahnhof gefahren hat, irgendwie dasGefühl, dass SIE verunsichert ist… sie hat versucht uns ein gutes Gefühl zu geben, sowas wie Sicherheit, (nicht in Worten, sie hat es nicht gesagt, aber wir haben es an ihrem Verhalten gemerkt – es war nicht übertrieben, aber irgendwie… ich kann es nicht erklären)… fast so, als hätte sie Angst und das Gefühl gegeben zu haben, sie würde uns nicht weiter kennenlernen wollen und uns damit nun von sich distanziert hat. Vermutlich ist es auch alles nur ne krasse Projektionssache beiderseits,… weil wir gestern beide an empfindlichen Stellen berührt wurden emotional…

Ich will nicht, dass sie denkt, dass ich die Diagnose als Ausrede für irgendwelche Sachen benutze. Deshlab habe ich ihr eben Tinas Video geschickt. Ich hoffe einerseits, dass sie das ein wenig mehr beruhigt, weil sie diese paradoxen Aussagen von mir besser verstehen kann, und habe andererseits eine riesengroße Angst davor, dass sie das total abschreckt, wenn sie versteht, dass eine DIS mehr bedeutet, als bloß Amnesien …

Jedenfalls sind wir jetzt wieder Zuhause. Heute Nachmittag gehen wir zu Lydia ins Café, lesen oder schreiben dort, ich weiß es noch nicht, vermutlich wirds erst einmal Schrieben, um unsere Emotionen und Gedanken zu sortieren, vielleicht versuche ich auch mit dem jenigen in Kontakt zu kommen, der mit Finja dieses Gespräch hatte. Abends will ich mir einen gemütlichen Abend machen. Auf Disney Plus gibt es den neuen Film „Strange World“, vielleciht tut das als Abschluss von so nem langen Urlaub ganz gut.

Morgen wird direkt ein verdammt langer Tag. Erst arbeiten, und dann wird ab Nachmittags der Direktor verabschiedet. Das geht ca. bis zwnazig Uhr. Ab Dienstag machen wir dann auch wieder den Nebenjob, um irgendwie Geld einzuholen. Also wird die Woche allgemein wohl eher lang. Zu Frau Blume können wir nicht fahren, weil wir 150 Euro im Minus sind (kein Dispo, ich checks nicht, wie das sein kann…) und nur noch 100 Euro bar haben. Und diese 100 Euro wollen wir sparen, damit wir sie nächsten Monat einzahlen können, damit unser Konto ,mehr oder weniger wieder „getilgt“ ist im Sinne von, dass wir dann nächsten Monat nicht wieder nur mit 100 Euro für den ganzen Monat dastehen. Uff… Scheiß Geldsorgen, echt.

Therapie Fortschritte | Integration von Anteilen | Konflikte beim Heilen

Wir hatten gestern sehr spontan eine Insta-Story gepostet zur letzten Therapiestunde die sehr aufschlussreich war. Zu der Story hat uns so viel positives Feedback erreicht und jemand bat uns auch darum, das unbedingt zu speichern und sie meinte, das wäre super, wenn das mehr Leute sehen könnten. Mich hat das natürlich total gefreut, dass es so vielen weitergeholfen hat und vor allem auch einige Komplimente, haben natürlich mega gut getan ☺🤭 Wir sehen zwar auf dem Video echt katastrophal aus 😅 Weil wir halt nie geplant hatten das öffentlich zu machen und es wirklich nur auf Insta war, aber durch das ganze Feedback haben wir uns dazu entschieden es öffentlich zu machen.

Mehr kann ich im Moment noch nicht schreiben, weil wir heute in der Ausstiegsbegleitung waren und die uns wirklich sehr zerbröselt hat (das war um 14 Uhr und wir sind immer noch total durch)… aber sobald wir uns gesammelt haben, werden wir dazu auch noch einen verständlicheren Eintrag schreiben.

Es wird niemals eine 100%-ige Sicherheit geben

Heute bin ich wieder in das Café von Jella und Ada gefahren. Ich möchte die Möglichkeit nutzen, solange wir noch in der „Nähe“ sind. Das könnte etwas schwieriger werden, wenn wir wieder arbeiten gehen. Da ich ja meistens in Café auch die Zeit zum Schreiben finde und mich auch dort weniger ablenken lasse als Zuhause, sitze ich eben wieder am Blog. Die wenigsten Einträge, die wir je geschrieben haben, haben wir von Zuhause aus geschrieben. Wir sind immer viel inspirierter, wenn wir wo anders sind. Eigentlich komisch, weil uns die ganzen Menschen viel mehr ablenken müssten, aber tatsächlich können wir so viel fokussierter bleiben.

Ich wollte kurz zum Thema Ausstieg und Täterkontakt noch etwas schreiben. Weil wir ja die ganze Zeit über in der Heimatstadt waren/sind, war es für mich nur eine Frage der Zeit, wann wir jemandem aus der Gruppierung oder Freunden oder Bekannten über den Weg laufen werden.

Vor ein paar Wochen haben wir den Kontakt zu J. abgebrochen. Ich weiß nicht, ob wir das erwähnt hatten, weil wir ja relativ wenig gebloggt haben in letzter Zeit und auch auf Instagram nicht sehr aktiv waren. Frau Blume haben wir jedenfalls davon erzählt und wir haben uns auch sehr an diesen Kontaktabbruch gehalten. Er hat uns zwar noch manchmal geschrieben oder wollte anrufen, hat auch gemeint, dass Senta bei ihm wäre und sie uns beide gerne besuchen würden, aber wir haben nicht geantwortet und auch nicht auf seine Anrufe reagiert. Wenn man jemanden nicht sehen muss, ist das irgendwie recht einfach. Aber letzte Woche sind wir ihm über den Weg gelaufen (ich glaube eher, es war weniger ein Zufall). Dennoch, klar… ich konnte dann jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit sagen: „Lass mich in Ruhe, verschwinde“ etc. oder wie auch immer man auf sowas dann angemessen reagiert. Zumal J. uns ja nie etwas angetan hat und er eigentlich selbst Betroffen ist und wir ihm wünschen würden, er könnte sich lösen. Es war halt mitten unter Leuten an einem Bahnhofsplatz wo wir in einem Café waren. Ich meinte dann schon zu ihm, dass ich ihm doch gesagt hätte, ich möchte keinen Kontakt usw. Aber irgendwie habe ich an seinem Ausdruck gemerkt, dass es wichtig ist. Klar, im Nachhinein denke ich mir, was kann schon nicht wichtig im Zusammenhang mit ihm sein. Es ist halt nicht nur, dass sie für uns potentielle Gefahr darstellen, sondern halt auch, dass wir natürlich sehr neugierig sind und wir zum Beispiel nach wie vor nicht wissen, wer genau seine Therapeutin ist und wieso sie so sehr auf uns „brennt“… Und Neugier war schon immer unser schlimmster Feind. Davon ab ist es auch schwer, hundert Prozent die Augen und Ohren zu verschließen und zu sagen, dass man gar nichts mehr mit denen zu tun haben will. Ich will ständig wissen, wo Senta ist und wie es ihr geht, mir brennt fast jeden Tag (vielleicht nicht jeden, aber gefühlt schon) die Frage auf dem Herzen, was mit dem Haus geworden ist, wo Senta vor vier Jahren (ist das echt schon vier Jahre her????) gewohnt hat… und ich kann nicht aufhören nicht zu verstehen, nicht zu wissen, wie die Adresse lautet. Ich habe das oft als Grund gesehen, dass ich mir das alles nur ausdenke, aber am Wochenende ist mir aufgefallen, dass wir auch nicht die Adresse von Finja kennen, obwohl wir nun sehr, sehr oft bei ihr waren und wir zwar wissen an welchem Bahnhof wir aussteigen müssen, aber niemals den Weg dann zu ihr finden würden, obwohl wir nicht wechseln oder dissoziieren. Vom Bahnhof aus muss man zu ihr nämlich mit dem Auto noch ca 15 Minuten hinfahren und ich würde einige Häuser oder einen Kreisverkehr wiedererkennen, aber ich würde niemals zu ihr finden und weiß auch nicht wie die Straße heißt, weil wir da einfach nicht drauf achten. Und ich glaube als Kind achtet man da vielleicht noch weniger drauf. Ich denke mir oft, dass ich an ganz bestimmten Ortsteilen oder Häusern oder Geschäften erkennen würde, wo ungefähr das Haus von Senta und ihrem Ex war…(es ist auch wirklich komisch, ihn jetzt als „Ex“ zu bezeichnen). Wichtig ist das eigentlich nicht mehr. Aber tief in mir drinnen sehnen sich viele und vielleicht auch ein Teil von mir nach den schönen Erinnerungen dort. Manchmal will ich einfach nochmal dorthin, mir die Räume anschauen, den Lichteinfall durch die Küche, der irgendwie immer so schön war, nachmittags oder am frühen Abend, will einfach nochmal das Geräusch von den Treppen unter den Füßen hören, mir nochmal die Zimmer anschauen, in dem S. und ich mal tagelang eingesperrt waren. Ich weiß nicht, wieso dieses Bedürfnis manchmal so stark da ist, aber, eben, manchmal sehne ich mich danach und bin dann unendlich traurig, dass ich nie wieder dorthin kann. Oder selbst wenn ich das Haus finden würde, ganz genau wüsste, dass es nicht mehr so wäre wie vor vier Jahren. Weil neue Menschen darin wohnen und alles sicher anders riechen, aussehen und… sich anfühlen würde… Schwer zu erklären. Dann gibt es da natürlich noch *Emily und *Maya, wir wissen wo sie wohnen (auch nicht die Adresse, aber die Stadt und die Straße würden wir wahrscheinlich noch finden) und ich bin mir sicher, dass irgendwann die Zeit kommt, wo wir uns dann stark davon distanzieren müssen, die beiden nicht zu besuchen, nur um unsere Erinnerung zu bestätigen, nur, um zu sagen: „Das war echt. Das war nie eine Einbildung. Die Orte und die Menschen sind echt, aus Fleisch und Blut oder Lehm und Holz.“ Das ist nämlich das Schlimme an den Erinnerungen oder am Ausstieg, viel eher. Es ist vermutlich gar nicht die Angst, Menschen nie wieder sehen zu dürfen oder was auch immer, sondern was uns viel schwerer fällt ist eher, dass es sich anfühlt, als hätte unsere Vergangenheit nie so existiert. Wir sind so haptische und visuelle Menschen… als unsere Tante 2008 gestorben ist, waren wir ja nie wieder bei denen in Ungarn, obwohl wir da die schönsten Kindheitserinnerungen hatten. Und manchmal weinen wir uns heute noch in den Schlaf, weil wir das Gefühl haben, diese Sachen alle nur eingebildet oder geträumt zu haben. Vor zwei Jahren waren wir mal wieder dort im Dorf, auf der Durchreise nach Ungarn… und natürlich wohnen da seit über zehn Jahren andere Menschen und es hat fast noch mehr wehgetan, als die verschwindende Erinnerung…

Egal, worauf ich hinauswollte, war dieses Treffen mit J. (ich gebe ihm jetzt mal den Namen *Jannik. Weil er eben wie ein Bruder für uns ist und es alles andere als leicht ist, jemanden aus unserem Leben zu streichen, der nicht einmal selbst Täter, sondern (vielleicht sogar schlimmere) gleiche Erfahrungen wie wir gemacht hat, haben wir uns halt auf einen Kaffee breitschlagen lassen. Also haben wir uns mit ihm echt noch hingesetzt und ein paar Stunden gequatscht. Ich bin mir 100 % sicher, dass wir zwischendurch mal gewechselt sind, es wäre eine Lüge wenn ich das Gegenteil behaupten würde. Es war ein ganz gutes Gespräch. Wir haben uns nicht wirklich bedrängt gefühlt oder als würde er uns überreden wollen zu irgendwas. Einige Aussagen haben uns natürlich durcheinander gebracht und manchmal waren Momente wo ich mir dachte: „WTF“… aber … ja, keine Ahnung, schwer zu erklären. Ich mag ihn einfach, er ist uns wichtig und wenn ich könnte, würde ich ihn am liebsten in Handschellen nehmen und ihn mit mir mit schleifen, raus aus diesem Albtraum. Die allergrößte Angst, die ich habe, ist, dass er selbst zum Täter werden könnte und viel schlimmer, aber diese Gedanken traue ich mich gar nicht an mich heran zu lassen, dass er selbst schon irgendwas getan hat… ich will mir das nicht vorstellen und kann ich mir nicht vorstellen, das kann ich einfach nicht. Und ich frage mich, ob, sollte ich davon jemals etwas erfahren, ihn verurteilen könnte. Ich glaube nämlich nicht. Und das wiederum macht mir NOCH größere Angst. Weil ich weiß, ich sollte das verurteilen. Weil es dafür keine Entschuldigung gibt. Weil ich auch die Wahl hatte. Und er auch die Wahl hätte. Oder? Ich bin super durcheinander und kann darüber nicht nachdenken. Es macht mich fertig.

Zumal mir schon der letzte Kontakt zu ihm große Angst eingejagt hat, weil ich/wir ihn noch nie so verwirrt erlebt haben. Er hat so durcheiandern geredet… fast so, wie als unser Mitbewohner damals in einer Psychose drinnen gesteckt ist. Ganz unheimlich…

Jedenfalls… so hat er halt gar nicht mehr gewirkt bei unserem Treffen. Sondern ganz klar, wie „unser“ alter Jannik… wir haben auch teilweise echt viel gelacht.  Einmal kamen wir auf das Thema Katzen und Lämmchen (ein Anteil von uns)… und eine Erzählung von ihm hat uns vielleicht eine Ahnung davon vermittelt, wie Lämmchen auf diese Katzengeräusche „trainiert“ wurde… (nicht in irgendeinem „Abrichtungslager“), sondern im ganz normalen Alltag… einige Dinge die er da erzählt hat, waren für uns purer Horror und ich konnte mich nicht daran erinnern – keiner von uns, aber manchmal haben wir Intrusionen gehabt, ganz kurze Sequenzen, ich glaube durch/von Lämmchen. Aber wirklich nur ganz kurz. Wie, als würde man mit einer Nadel ne Blase platzen lassen. So schnell und kurz.

Aber egal, nochmal: Es war zwar wirklich ein guter Abend, aber wir sind trotzdem am Ende noch einmal ganz klar gewesen, dass wir den Kontakt abbrechen wollen und wir ihm eigentlich wünschen würden, dass er das auch schafft… er meinte dann berechtigter Weise, dass wir doch nicht zu allen Menschen den Kontakt abbrechen können, die auch nur Ansatzweise irgendwie im Kontakt zu irgendwem stehen. Er fragte auch nach einer Freundin von uns, die er ja kennen würde und ob wir dann konsequent genug wären zu sagen, okay, sie wollen wir auch nicht mehr sehen. Mir war schon klar, dass das ein bisschen provokant war, aber irgendwie konnte ich das auch verstehen… Habe gesagt, natürlich nicht und dass das gar nicht möglich wäre, zumal wir ja immer jemandem über den Weg laufen könnten oder sogar neue Menschen kennenlernen könnten, die auf irgendeine Art und Weise Kontakt zu ihr oder ihm oder wem auch immer haben könnten… aber dass er halt nicht irgendein entfernter Verwandter oder Bekannter wäre und er auch ganz genau wüsste, was wir damit meinen würden. Dazu hat er dann nichts gesagt, bzw nur den Kopf gesenkt und ja… Ich … wie gesagt, ich denke schon, dass Jannik die größte Herausforderung für uns darstellen wird…. und S. (*Stella) . Die Freundin von der wir ja jahrelang dachten, sie sei tot. Und irgendwie … ist sie es doch nicht… was auch immer… egal. Immer noch kann ich das nicht… um ehrlich zu sein. Verdrängt. Ja. Die Tatsache, dass wir auf ihrer Beerdigung waren und wir letztes Jahr plötzlich mit ihr wieder unterwegs waren, haben wir komplett verdrängt. Dafür gibt es keine rationale Erklärung. Wir müssen total verwirrt sein.

Das wollten wir noch kurz erzählen. Was ich damit sagen will, ist, dass ich mir im Klaren darüber bin, dass es niemals eine 100%ige Sicherheit in unseren Vorhaben oder Zielen geben wird. Ich vergesse die Tatsache, dass wir viele sind, nicht. Das ist mir bewusst und ich werde immer damit leben müssen, dass es sein kann, dass die Eine oder Andere nicht dieselben Vorstellungen vom Leben oder unseren Wünschen haben, wie ich oder Andere.

Trotzdem habe ich das Vertrauen, dass wir es irgendwie schaffen könnten. Besonders bei Sentas Ex bin ich mir sehr sicher, dass fast niemand scharf darauf ist, den Kontakt zu ihm zu halten. Wenn es schöne Erinnerungen an ihn oder mit ihm gibt, habe ich diese noch nicht entdeckt.

Neue Chancen statt Neujahrsvorsätze

Ich sitze endlich, endlich im Café von Jella und ihrer Ehefrau Ada und fühle mich wie der freiste Mensch dieser Welt. Auf dem Weg hierher habe ich im Zug die letzte Strecke hauptsächlich aus dem Fenster geschaut, die Sonne scheint, es ist wirklich ein herrlicher Januartag, und die Berge kamen immer näher und ich habe plötzlich so ein großes Gefühl der Losgelöstheit und Sorglosigkeit gespürt, als würde ich in einen langen, langen Urlaub fahren. Mir ging es wirklich so gut, wie schon lange nicht mehr und war so überrascht zu festzustellen, wie einfach es sein kann, sich genau so zu fühlen und habe mich gefragt, wie es sein kann, dass ich Jahre meines Lebens nie so etwas in der Art erfahren habe. Abgesehen davon, wenn wir mit anderen Menschen unterwegs waren, die uns in seltenen Augenblicken einen kleinen Einblick in ihr Leben gewehrt haben. Aber noch nie habe ich mich ganz alleine so frei und fremd gefühlt. Auf gute Art fremd. Nicht, wie eine Fremde in meinem eigenen Körper, sondern wie ein Vogel der die Möglichkeit hat, sich in völlig neuen Lüften zu bewegen, weil er Dank seiner Flügel an keinem Fleck der Welt gebunden ist. Und es ist auch nicht schlimm, dass ich mich selbst trotzdem überall hin mit nehme und meine Sorgen sorglos dabei sein können. Ich kann erfahren, dass ich auch trotz vieler Tragödien mit ihnen zusammen frei sein kann!

Das ist eines der schönsten Gefühle, die ich seit … ja, ich würde wirklich sagen, Jahren hatte. Es hat mich für einen Moment so glücklich gemacht, dass ich lächelnd Tränen im Zug wegblinzeln musste. Und ich bin mir sicher, dass ich das dieses Jahr, ganz ohne Vorsatz, regelmäßig machen werde.

Mir fehlt übrigens wieder vorne und hinten das Geld, weil ich mich mit den Weihnachtsgeschenken absolut übernommen habe und vor zwei Tagen die letzten hundert Euro, die ich jetzt für den Januar noch habe, abgehoben hatte. Ich habe keine Ahnung, wie man mit hundert Euro in 27 Tagen auskommt, aber auch das werde ich irgendwie schaffen, das haben wir schon oft geschafft – außerdem haben wir sowieso viele liebe Menschen in unserem Leben, die wir aus letztem Jahr mitgenommen haben. Und mittlerweile haben wir nicht mehr so große Ängste, irgendwas nicht hinzubekommen.

So viel erst einmal zu einem unserer tollen Neujahrserfahrungen, und das schon in der ersten Woche!

Aber jetzt erst einmal kurz zurück in die letzte Woche von 2023.

Es hat sich viel aufgestaut zwischen Svenja, Finja und mir/uns, was ich nicht richtig greifen konnte. Gefühle zu beschreiben ist aber nie einfach. Man fühlt sie einfach. Ich habe allerdings bemerkt, dass ich mich in ein altes Muster zurück bewegen wollte. Faszinierend, wie schwer es sein kann, Gewohnheiten zu durchbrechen. Svenja habe ich/wir (Wenn ich weiterhin in der Ich-Form schreibe, meine ich meistens auch andere von uns mit inbegriffen) in den letzten Wochen sehr häufig gesehen. Da sie ja nicht weit entfernt von uns wohnt, ist sie spontaner mal abends noch auf einen Tee oder Kaffee vorbeigekommen und wir hatten immer sehr gute Gespräche. Am 27. Dezember war ich dann bei ihr Zuhause. Die Stadt hat ein wenig Nervosität in mir ausgelöst, weil dort die Geschlossene ist, in der wir viele traumatische Erfahrungen gemacht haben, aber da sie mitten in der Altstadt wohnt und wir gar nicht in der Nähe der Geschlossenen waren, war diese Nervosität sehr schnell wieder von mir abgefallen.

Wir wollten eigentlich hauptsächlich über das Podcast Thema sprechen, ein bisschen Brainstorming machen. Das haben wir dann abends irgendwann gemacht, nachdem wir zu Mittag gegessen haben und lange mit Jimmy spazieren waren (ihn hatte ich dabei). Beim Spaziergang hat sie dann plötzlich ganz direkte Fragen an mich gestellt. Wonach ich (in Bezug aufs Daten), denn genau suche und ich glaube sie hat mich auch noch einmal zu Finja befragt oder ich bin selbst darauf gekommen, ich weiß es ehrlich gesagt nicht mehr so genau. Aber: Ich habe ihr von meinen Gefühlen zu Finja erzählt und wie ich zu ihr stehe, was ich zu alledem denke. Ich sagte ihr, dass ich weiß, dass sich bei mir nächstes Jahr beruflich sehr viel verändern wird und ich oft große Ängste vor Veränderungen habe. Auch davon, dass ich glaube endlich mein Muster in Beziehungen verstanden zu haben und dass ich es nie länger als ein halbes Jahr mit einer Person ausgehalten habe. Meistens aus unterschiedlichen Gründen, aber die schlussendliche Entscheidung jemanden von mir zu stoßen, war meistens dieselbe. Da ich ja eine Ahnung habe, woran das liegt bin ich motiviert dahin zu schauen, anstatt wegzulaufen, diese Ängste anzugehen (was Bindung und Vertrauen angeht). Ich habe ihr also gesagt, dass ich mir eigentlich geschworen habe, als ich das Daten angefangen habe, selbst, wenn ich mich total verlieben sollte, Nein zu einer festen Beziehung zu sagen. Weil ich Menschen nicht mehr so vor den Kopf stoßen möchte und weil ich mich egoistisch fühle: Wie eine Katze, die eine Weile gerne mit einer Maus spielt, nur für ihr Vergnügen, um sie dann verletzt wieder von Dannen ziehen zu lassen. So ein Mensch möchte ich nicht mehr sein. Nur zugunsten meiner Sehnsucht, mich durch andere Menschen lebendig zu fühlen und sie dann, bevor sie mir zu nah kommen, wieder von mir zu stoßen. Im Bezug darauf habe ich ihr dann gesagt, wie ich für Finja fühle und ich Angst habe, dasselbe mit ihr zu tun, wie mit meinen vergangenen Partner:innen. Vielleicht auch, dass es gerade deshalb so leicht und angenehm ist, dass Finja unserer Beziehung keine Bezeichnung gibt. Dass sie nicht erwartet, dass wir eine feste Beziehung eingehen sondern sie frei danach lebt, die Momente zu genießen, die wir gemeinsam erleben dürfen. So war das ja auch in der Beziehung mit Soula und diese hat schließlich zwei Jahre gehalten, ganz ohne Dramen, ohne Enttäuschungen und Verletzungen – eine der schönsten Liebesbeziehungen die wir je hatten, weil sie völlig ohne Erwartungen und voll von Vertrauen war. Ich bin ein wenig vorsichtig, weil ich nicht etwas in der Beziehung zu Finja suchen und finden will, das ich meine mit Soula verloren zu haben (sie sind ohnehin in allen anderen Punkten grundverschieden), aber ich denke, allein dass ich auch das im Hinterkopf habe, gibt mir die Sicherheit, dass ich nicht unreflektiert in diese Sache hineingehe.

Kurz bevor ich wieder gehen musste, hat mich Svenja dann geküsst und ich war wirklich völlig überrumpelt. Ich habe kein bisschen damit gerechnet. Es kam bei mir nicht eine Sekunde lang das Gefühl an, sie könnte mich heute, geschweige denn jetzt gleich, küssen wollen. Obwohl es sich kein bisschen gut angefühlt hat, konnte ich sie nicht abweisen. Aber ich habe mich so furchtbar gefühlt dabei. Es hat sich so falsch angefühlt und allem voran habe ich besonders die ganze Zeit an Finja denken müssen.

In der selben Nacht, weil ich ja mit dem letzten Zug noch nach Hause gefahren bin, konnte ich einfach nicht einschlafen. Mir ging es wirklich schlecht, ich wusste einfach nicht, was genau in mir aufgewühlt war, aber ich glaube, dass ich sogar leicht getriggert war (oder besser gesagt, jemand in mir drinnen). Ich habe versucht hinzuspüren oder zu hören, aber habe nur gehört: „Wieso hast du das zugelassen, wieso lässt du das zu?“… ich konnte aber nicht genau herausfinden, was genau gemeint war. Ob sie den Kuss von Svenja meinte, oder ob sie in alten Erinnerungen festhing.

Direkt am nächsten Tag hat Svenja mir eine sehr lange E-Mail geschrieben, die wirklich sehr tief ging und von der ich mich sehr in die Enge getrieben gefühlt habe, weil sie ganz direkt von mir gefordert hat, eine Entscheidung zu treffen. Ein Satz von ihr lautete im Originalen: „(…) aber um Liebe möchte ich nicht mehr „betteln“ müssen. Entweder du erkennst selbst den Wert in der Verbindung oder eben nicht.“

Das Tragische an der Sache war, dass ich in der Mail gemerkt habe, dass Svenja völlig fälschlich das Gefühl hatte wahrzunehmen, ich würde genau dasselbe für sie empfinden wie sie für mich, obwohl das keiner von uns jemals in ihrer Gegenwart erwähnt hat und wir ihr auch niemals Andeutungen darauf gemacht haben. Unsererseits war in keiner Sekunde irgendeine Anziehung da, wir haben in der Beziehung zu ihr nur den Wert des Austauschs und der Inspiration gesehen.

Wir schrieben ihr auf diese lange und sehr ehrliche Mail zurück, dass wir gerne näher darauf eingehen würden, aber das erst im neuen Jahr könnten, weil wir vorher keine Zeit dafür hätten. Zwei Tage später, ich glaube dreißigsten Dezember, habe ich ihr per Wahtsapp noch geschrieben, dass ich ihr das nicht antun möchte, dass sie so lange auf eine Antwort wartet und schrieb ihr das:

„Ich wollte dir schreiben, um dich nicht auf die Folter zu spannen, dass ich deine Mail gelesen habe. Ich will darauf eingehen und brauche dafür, wie gesagt, Ruhe und Zeit. Aber ich weiß, wie einen eine Antwort auf so eine wichtige Nachricht foltern kann und deshalb will ich dir vorab sagen, dass ich nicht glaube, dass ich dir den Wünsch oder die Hoffnung erfüllen kann. Ich bin mir sehr sicher, dass ich mich nicht zu einer Beziehung mit dir bereiterklären kann und nicht an dem Punkt stehe, wo ich ganz bewusst Ja sagen kann. Ich will nicht mit deinen Gefühlen spielen. Du bist ein wunderbarer Mensch und ich genieße den Gedankenaustausch und die Inspiration mit dir, aber ich möchte nicht, dass du (noch mehr) verletzt wird und du die Möglichkeit hast zu sagen: Okay, bis hierhin und nicht weiter. (…)

Als ich diese Nachricht abgeschickt habe, habe ich mich immer noch sehr bedrückt gefühlt und dachte mir: Wie soll denn ein Kontakt mit ihr überhaupt noch möglich sein und funktionieren?

Am nächsten Tag in der Früh war schon eine Nachricht von ihr da, dass sie dann gerne die Hand, die ich ihr reiche, annehmen und sagen möchte: „Okay, bis hierhin und nicht weiter.“

Das war am einunddreißigsten Dezember und plötzlich ist richtig viel Last von mir gefallen. Vermutlich hätte ich direkt sagen können und sollen, dass ICH keinen weiteren Kontakt möchte, aber mir war bis zu dem Moment ihrer Antwort gar nicht bewusst, dass es das war, was mich belastet hat.

Finja habe ich von dem Kuss mit Svenja erzählt, obwohl ich riesengroße Angst hatte. Zum Einen, dass sie sagt, es würde sie gar nicht stören, es sei völlig in Ordnung, wenn ich noch andere date – und zum Anderen, dass dieses Ereignis unserer gemeinsamen Zeit die Leichtigkeit und Sorglosigkeit nimmt.

Es war weder das eine noch das Andere. Sie war ein wenig verärgert darüber, dass ich es mir so aus der Nase ziehen lassen habe, ich habe ihr nicht in die Augen geschaut und meinte nur mit heißen Ohren, dass ich große Angst hatte, wie sie reagieren würde und ich einfach nicht wusste, wie ich ihr das sagen sollte. (Ich habe Finja ja direkt einen Tag danach schon besucht und es ihr auch direkt dort erzählt am Abend). Aber da ich ihr auf dem Heimweg von Svenja schon eine Sprachnachricht geschickt habe, dass ich ein wenig aufgewühlt bin und es ein krasser Tag war, meinte sie, hatte sie schon im Gefühl, dass irgendwie sowas passiert war. Ich fragte sie dann, wie sie sich fühlt und sie meinte: „Wie würdest du dich fühlen?“ Und ich sagte: „Ich glaube, wenn ich ehrlich bin, ein wenig scheiße. Und verunsichert.“

Dann habe ich sie angesehen, sie hat mich angelächelt und geküsst und seitdem war es noch zwei Mal Thema, aber nicht schwer, sondern nur ungeklärte Fragen noch etwas genauer beantwortet. Es hat sich in unserer gemeinsamen Zeit, wie wir sie empfinden und erleben, nichts verändert.

Also war das schon einmal etwas, was mir die Augen geöffnet hat: Ich kann Entscheidungen treffen, ich kann nein sagen, ich darf nein sagen und es wurde nicht bestraft. Ich kann auch Ja sagen: Ja zu Finja und zu der Frage, will ich den Weg lieber mit ihr gehen? Wir haben im letzten Jahr etwas losgelassen, und uns für das neue Jahr bewusst für etwas entschieden. Das hat sich richtig angefühlt, als wäre alles genau im richtigen Moment passiert.

Dann der Job. Ich wusste einfach nicht, wohin mit mir. Schon Anfang Dezember habe ich angefangen nach neuen Jobs Ausschau zu halten und der Markt ist natürlich gerade ein Geschenk. Eigentlich kann man im Moment gar nicht nichts finden. Aber ich dachte: Was kann ich überhaupt als gelernte Bürokauffrau anbieten, wenn ich seit fünf Jahren im Marketing bzw. in der Öffentlichkeitsarbeit arbeite und nie wieder nach der Ausbildung Excel oder komplizierte Word-Funktionen bedient habe, ich das Chaos in Person bin und Organisation nicht im Geringsten meine Stärke ist? Mir ist klar geworden, dass ich als Quereinsteiger in meinem eigentlich ausgelernten Beruf anfangen müsste und war noch verärgerter darüber, dass das scheinbar neue Hobby meiner Chefin seit der Corona-Pandemie die Archivarbeit geworden ist und ich mich seit zwei Jahren fühle, als könnte ich nichts. Ich dachte, ich könnte mich natürlich auch in einem Marketingbetrieb bewerben… und habe angefangen dort zu suchen. Meine Priorität war ohnehin eher, dass ich mehr Geld verdiene, bzw. mindestens auf dreißig Stunden, am liebsten auf zweiundreißig oder dreiunddreißig hochgehen könnte, weil ich von den 1.300 Euro im Monat einfach nicht leben kann, wenn (mittlerweile) 65 % meines Gehalts auf die Miete (ohne Nebenkosten etc.) draufgehen und ich dann jeden Monat überlegen muss: „Verzichte ich diesen Monat lieber auf Kultur, Freunde und Freiheit oder auf Lebensmittel?“ Natürlich mit tragischem Humor, aber wer in dieser Situation nicht mehr lacht, der hat den Ernst der Lage nicht verstanden. 😉

25 Stunden zu arbeiten, ist für mich keine Option mehr. Egal wie ich es drehe oder wende: Ich will mehr. Ohne finanzielle Freiheit, so traurig das auch klingt, kann man leider nicht wirklich frei sein. Es braucht sowohl innere als auch äußere Freiheit. Innerlich frei ist eine Bewusstseins-Weisheit und Kunst für sich, das ist, denke ich, ein lebenslanger Prozess. Aber auch äußerlich frei zu sein, das schaffe ich nur, wenn ich mein Leben in die Hand nehme und etwas tue. Von nichts kommt nichts.

Was mir sehr schweren Herzens war: Ich liebe eigentlich den Ort, wo ich arbeite und ihre Menschen und da ich mich im November/Dezember schon angefangen habe mich von dem Ort und den Leuten dort zu verabschieden (ich habe auch ein paar Wehmuts- und Dankbarkeitstränen vergossen; keine rein schmerzlichen Tränen, irgendwie angenehme, schöne Tränen) – war für mich auch das ein guter Abschluss für 2022.

Besonders als ich mich von Billy verabschiedet habe und mir tief im Herzen dachte: Mit ihr hätte ich mir wirklich eine angenehme, langfristige Zusammenarbeit vorstellen können und ich mich an meinem letzten Arbeitstag von ihr verabschiedet habe, habe ich ganz viele Tränen vergossen. Aber es war gut. Ich habe mich irgendwie befreit und losgelöst gefühlt. Es hat sich sauber gefühlt, Altes im alten Jahr lassen und das neue Jahr mit völlig neuen Chancen beginnen zu können.

Plötzlich schrieb mir Billy vor zwei Tagen, sie hätte eine Überraschung für mich. Ich dachte erst, ob ich vielleicht einen Platz in ihrem Büro bekommen würde. Das wäre nicht abwegig gewesen und das Einzige, was mir in dem Moment eingefallen ist, denn, da sie ja nun nicht mehr im Direktorat arbeitet und ihr Arbeitsplatz aufgelöst wird, gibt es dort nur noch einen Schreibtisch, der aber von *Hanni besetzt wird (auch eine Sekretärin der Vorstände mit der wir auch gut auskommen), aber wir dann eben keinen Platz mehr gehabt hätten. Ich meinte aus Spaß aber: „Kriege ich jedes Mal ein Stück Schokolade, wenn ich dich besuchen komme?“ Und sie schrieb: „Du wirst mich nicht besuchen kommen.“

Mir ist für einen Moment das Herz in die Hose gerutscht und ich habe direkt die Tränen im Hals gespürt, dachte mir: Oh Gott bitte sag nicht, dass sie jetzt auch noch gekündigt hat und geht! Mir war wirklich kurz schwindelig, auch, wenn ich jetzt schon letztes Jahr Abschied von der Zusammenarbeit mit ihr genommen habe. Sie hat ja nämlich die Stelle als Veranstaltungsmanagerin bekommen, einem völlig neuen Bereich in unserem Unternehmen.

Nur eine Minute später schrieb sie: „Du wirst in Zukunft bei mir im Veranstaltungsmanagement arbeiten.“

Ich musste mich am Waschbecken festhalten. Da mir ja erst die Angst in die Glieder gefahren ist, dass sie jetzt auch noch ganz geht, und dann diese plötzliche Fassungslosigkeit (Freude), ist mir echt für einen Moment schwindelig geworden. Mit dieser Option hatte ich absolut nicht mehr gerechnet. Die Geschäftsführer hatten klar gesagt, es braucht keine weiteren Mitarbeiter dort. Aber Billy hat sich bei einem zufälligen Gespräch, in dem mein Name gefallen sei, mit Herzblut für mich eingesetzt und hat dafür gesorgt, dass ich ab dem 23.01. offiziell die fünf Stunden, die ich sonst im Direktorat war, bei ihr arbeiten darf.

Das hat jetzt natürlich meine Entscheidung ein bisschen auf den Kopf gestellt. Fest steht: Den Job habe ich erst einmal nur, solange mein Vertrag im August ausläuft (auch wenn Billy Andeutungen macht, dass es langfristiger werden könnte, wenn wir das zusammen gut wuppen), und ich weiterhin in den 25 Stunden und dem blöden Öffentlichkeitsreferat feststecke. Und da will ich auf jeden Fall weg. Eigentlich können mir keine zehn Pferde mehr dort halten. Nicht freiwillig.

Andererseits wäre damit eines meiner größten Wünsche (bevor ich mich im November schon davon verabschiedet habe), in Erfüllung gegangen: Weiter mit Billy zu arbeiten und dann auch noch in einem Bereich, der mir Spaß machen könnte PLUS in dem Ort, auf den und deren (hauptsächlich hilfeberechtigten) Leute ich sehr stolz bin.

Jetzt ist also mein Plan ein bisschen anders: Ich werde nicht meine ganze Stelle in meinem jetzigen UN kündigen, wenn ich einen neuen Job finden sollte, sondern überlege, ob es irgendwie möglich ist, die zwanzig Stunden im Öffentlichkeitsreferat und im Spendenwesen zu kündigen, und außerhalb einen Job anzunehmen. Dann wäre zwar das Veranstaltungsmanagement – ja, was wäre das? Fünf Stunden in der Woche? Kann man das als Nebenjob gelten lassen? Und wo anders würde ich dann gerne 25 Stunden arbeiten. So der Plan, der völlig unrecherchierte, rohe Plan. Da sind natürlich noch viele Fragen offen, wie: Ist das überhaupt möglich? Kann ich überhaupt den Vertrag, den ich aktuell in meinem UN habe, auf die Art und Weise beenden bzw. so umgestalten? Oder wäre es nur so möglich, dass ich das trotzdem die neun Monate noch in den zwei anderen Stellen aushalten muss? Das sind Dinge, mit denen will ich mich noch mit Billy zusammen beraten. Sie ist, was solche Sachen angeht, immer sehr klar und direkt, weiß meistens auch mehr als ich.

Ich glaube, da werde ich erst Ende Januar Genaueres wissen und neue Ziele definieren können.

Was die Therapie angeht, bin ich noch zu keinem 100% Entschluss gekommen.

Am Donnerstag nächste Woche sehe ich Frau Blume und möchte mit ihr reden, vielleicht auch ihren Rat einholen, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob sie mir einen geben wird, weil sie ja immer möchte, dass ich selbst entscheide und mich nicht beeinflussen will. Da mir bewusst ist, dass wenn ich mehr arbeite, nicht mehr zur Therapie kommen kann. Freitags arbeitet sie nämlich nicht. Mit zweiunddreißig Sunden könnte ich noch Freitags frei nehmen, aber ich könnte an keinem anderen Tag frei nehmen und Stunden am Freitag arbeiten, weil unser Unternehmen Freitags um 12 schließt. Das heißt, ich habe keine Stundenausgleich-Möglichkeiten. Aktuell haben wir glaube ich sowieso nur noch vier Stunden bei Frau Blume. Ich habe mich gefragt, ob es vielleicht gar nicht so schlimm ist, wenn wir zwei Jahre Pause machen und nur dieses Angebot in Anspruch nehmen, einmal im Monat zu einer Sprechstunde zu kommen. Am Tag danach habe ich mein Erstgespräch bei der Ausstiegsbegleiterin. Ich habe viele Fragen an sie, und bin gespannt, ob sie sich für mich klären werden. Ich meine, dass das Traumahilfezentrum Freitags auf hat und eine Überlegung von mir war, dass ich die nächsten zwei Jahre, in denen die Therapiepause dann besteht und in denen ich mehr arbeiten möchte, um Geld zu verdienen, freitags zur Ausstiegsbegleitung gehe und dann eben 1x im Monat zu Frau Blume zu dieser Sprechstunde.

Aktuell weiß ich nämlich nicht, wie mir die Therapie weiterhelfen kann. Wir haben viel verstanden, besonders uns selbst, aber wir merken, dass uns das Verstehen nicht weiterhilft und meistens haben wir die größten existenziellen Krisen und Ängste, wenn wir auf unser Konto schauen. Deshalb wollen wir einfach mal schauen wie es uns gehen würde, wenn wir finanziell einfach mal stabil wären. Aber dafür müssen wir mehr arbeiten und das heißt dann eben leider, keine Zeit mehr für Therapie. Zur Erklärung, weil viele bestimmt denken werden, das sei eine Ausrede: Wir hatten bisher Donnerstags immer nachmittags frei, damit wir um 15 Uhr den Zug erwischen können, um um 17:15 Uhr bei Frau Blume zu sein. Freitags haben wir immer frei, aber an dem Tag arbeitet sie eben nicht.

Ist leider wirklich nicht einfach und ich wünschte, es gäbe mehr so gute Therapeuten wie Frau Blume, wenigstens eine einzige in unserer Nähe. Aber sie war die nächste in der Umgebung…

Die Therapie ganz beenden wollen wir aber nicht, weil ich uns gut genug kenne, dass es Zeiten gibt, in denen wir sie ganz dringend brauchen werden. Deshalb macht mich dieser Plan auch ein wenig nervös. Andererseits, wenn ich nie irgendwas riskiere und mal etwas anderes ausprobiere, dann werde ich nie Veränderungen bemerken. Die letzten 5 Jahre bin ich jetzt so verfahren und es hat sich nichts verrändert, bis auf mein Wissen und Verstehen. Das reicht am Ende auch nicht. Und ich bin mittlerweile weit genug um zu verstehen, dass nicht einmal Jesus selbst mich aus einem Sumpf Scheiße ziehen kann, diese Chance habe ausschließlich ich selbst, aber das geht nicht, wenn ich jahrelang wöchentlich zur Therapie gehe und mich in der bequemen Illusion bewege, dass dadurch alles besser wird. Das ist einfach falsch und langsam erkenne ich einen Zusammenhang zu mir, die seit Jahren hoffnungsvoll in Therapie geht und den Menschen, die ich nicht verstehen kann, dass sie zu Gott beten, anstatt ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Vermutlich habe ich Mona deshalb oft so verurteilt, weil sie mich gespiegelt hat. Sie betet und bittet Jesus um Hilfe, wenn sie nicht mehr weiter weiß und lehnt sich zurück und gibt ihren Kummer ins Vertrauen, dass irgendwas „göttliches“ oder Übermächtiges ihr Leben richtet… aber ich/wir waren in keiner Weise anders. Tief in uns drinnen habe wir wohl seit unserem 13. Lebensjahr, also vor dreizehn Jahren, gehofft, dass uns Therapien von unserem Leid befreien. In Wahrheit haben sie uns nur geholfen, unser Leid, den Kummer unser Verhalten und uns selbst zu verstehen. Aber nicht, wirklich zu leben. Damit möchte ich ein für alle Mal Schluss machen.

Ich bin 26 Jahre alt geworden und fühle mich endlich erwachsen. Nicht, dass jetzt dieser eine Geburtstag alles verändert hätte, aber irgendwie bin ich auf den Geschmack der Selbstbestimmtheit und Unabhängigkeit, der Lebensfreude und der (positiven) Abenteuer gekommen, seit wir aus der Betreuung und dem Helfersystem ausgebrochen sind. Und ich bin nach wie vor fest davon überzeugt, dass wir nur so den Schritt ins Erwachsenwerden lernen konnten. Es ist traurig und ich sage es nicht gerne, aber es ist leider eine Tatsache: Das Helfersystem ist nicht für eine langfristige Zeit gut. Es gibt einen Punkt, da ist es überschritten und man braucht eine gewaltige Portion Kraft und Mut und Antrieb, um sich in der Gesellschaft als vollwertiges Mitglied wieder aufzuarbeiten. Ich sage das nicht aus Bosheit oder Wut, sondern mit trauriger Beobachtung und jahrelanger Erfahrungen durch uns selbst und Mitmenschen. Ich bin mir sicher, jede:r, die als Hilfeberechtigte:r den Absprung geschafft hat, würde mir zustimmen und sogar Helfer selbst haben mir diese Beobachtung bestätigt.

Und das meine ich mit: Raus aus der Opferrolle. Es heißt nicht: STELL DICH NICHT SO AN! Sondern viel eher, soll es alle Betroffene wachrütteln, ihr Leben zu lebem mit ihren Sorgen und Ängsten. Sie werden immer da sein, es wird nie ein Wundermittel geben, das das alles wegzaubert – darauf zu warten ist vergeudete Lebenszeit. Nehmt Hifle an, die ihr braucht, hört auf das, was euch guttut, aber lasst euch niemals euer Leben von einem Helfersystem nehmen, lasst niemals über euch bestimmten – weder von Tätergruppen, noch von Helfern. Ich wünsche mir von Herzen so sehr für alle Mit-Betroffenen und auch alle in uns drinnen, dass sie erfahren dürfen, was leben bedeutet und dass sie selbst in ihren Mut und ihren Antrieb kommen und erkennen, wie viel Schönes und Kraftvolles in ihnen steckt. Und ganz besonders, dass sie ihre Grenzen erkennen und für sie einstehen! Denn nur weil Helfer da sind, um zu unterstützen, heißt es noch lange nicht, dass sie Gewalt in Form von Grenzüberschreitung und dem Entziehen Eurer Selbstbestimmung anwenden dürfen. Ich weiß, es ist super schwer zu erkennen, wo dort klassische Helfergewalt anfängt und Einrichtungen haben ihre Regeln und Konsequenzen. Aber: Ihr seid selbstbestimmte Menschen! Ihr habt Rechte, Würde und Grenzen, die zu 100%, in jeder Lebenssituation eingehalten werden müssen.

Wenn das nicht der Fall ist: Lauft. (Um es mal dramatisch auszudrücken :D), lauft um euer Leben, bevor ihr in diesem Helfersystem gefangen bleibt. Ihr seid wundervolle, wertvolle und starke Menschen. Holt euch Hilfe von heilsamen, professionellen Menschen, die euch dabei unterstützen eure Autonomie wiederzuerlangen, die man euch so früh genommen hat! Die liebevoll und auf Augenhöhe mit euch Arbeiten und euch nicht als Opfer, sondern als Überlebende sehen. Das wünsche ich mir von Herzen.

Blabla Ende 😅 das ist jedenfalls, wo ich mich befinde. Ich habe mit dem grenzüberschreitenden Helfersystem vor über einem Jahr abgeschlossen und festgestellt, wie richtiges Heilen (Dank Frau Blume) funktioniert. Es hat ein Jahr gedauert, um es zu begreifen und zu verarbeiten, aber jetzt fühle ich mich wirklich in der Kraft, dieses Wissen und Verstehen in die Tat umzusetzen. Ich traue mich jetzt, nach so vielen Jahren, endlich wirklich auszusteigen. Ich traue mich. Und es fühlt sich richtit gut an. Weil ich es nicht als Opfer tue, sondern als Kämpfer.